Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.einen Namen davon zu tragen. Gegen diese Sünd¬ Es ist merkwürdig, daß diese Schriften mehr einen Namen davon zu tragen. Gegen dieſe Suͤnd¬ Es iſt merkwuͤrdig, daß dieſe Schriften mehr <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0282" n="272"/> einen Namen davon zu tragen. Gegen dieſe Suͤnd¬<lb/> fluth von Kinderſchriften kaͤmpft dann der echte Kin¬<lb/> derfreund vergeblich an.</p><lb/> <p>Es iſt merkwuͤrdig, daß dieſe Schriften mehr<lb/> auf die Alten, als auf die Kinder ſelbſt berechnet<lb/> werden, weil die Alten ſie eben auswaͤhlen und be¬<lb/> zahlen, und nur wenige Takt genug beſitzen, um zu<lb/> wiſſen, was dem kindlichen Gemuͤthe zuſagt. Damit<lb/> iſt die Philiſterei und die altkluge Moral in die Buͤ¬<lb/> cher, ſelbſt des zarteſten Jugendalters gekommen. Die<lb/> Alten wollen etwas Solides, Vernuͤnftiges, und dar¬<lb/> um muͤſſen es die armen Kinder auch wollen, genug,<lb/> wenn ſie nur bunte,Bildchen dabei ſehn. Die Maͤhr¬<lb/> chen, dieſe echte Kinderpoeſie, ſind lange verachtet<lb/> und verdammt geweſen. Was ſollen dieſe Kindereien?<lb/> hieß es, und man hatte doch Kinder vor ſich. Man<lb/> fuͤrchtete, die Maͤhrchen pflanzten der kindlichen Seele<lb/> Aberglauben ein, oder wenigſtens, ſie beſchaͤftigten<lb/> die Phantaſie zu ſtark und zoͤgen vom Lernen ab.<lb/> Man erfand daher die lehrreichen Erzaͤhlungen und<lb/> Beiſpiele aus der wirklichen Kinderwelt, vom from¬<lb/> men Gottlieb, vom neugierigen Fraͤnzchen und naſch¬<lb/> haften Lottchen, und erſtickte mit dieſer Alltagsproſa<lb/> alle natuͤrliche Poeſie in den Kindern. Waͤhrend man<lb/> ihnen aber alles Schoͤne nahm, wofuͤr ihre jungen<lb/> Herzen ſo empfaͤnglich ſind, und woran ſie ſich wahr¬<lb/> haft menſchlich bilden, mißbrauchte man ihr Herz,<lb/> wie ihre Phantaſie, um damit ihren noch unentwickel¬<lb/> ten Verſtand zu bearbeiten. Alle in der Jugend auf¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [272/0282]
einen Namen davon zu tragen. Gegen dieſe Suͤnd¬
fluth von Kinderſchriften kaͤmpft dann der echte Kin¬
derfreund vergeblich an.
Es iſt merkwuͤrdig, daß dieſe Schriften mehr
auf die Alten, als auf die Kinder ſelbſt berechnet
werden, weil die Alten ſie eben auswaͤhlen und be¬
zahlen, und nur wenige Takt genug beſitzen, um zu
wiſſen, was dem kindlichen Gemuͤthe zuſagt. Damit
iſt die Philiſterei und die altkluge Moral in die Buͤ¬
cher, ſelbſt des zarteſten Jugendalters gekommen. Die
Alten wollen etwas Solides, Vernuͤnftiges, und dar¬
um muͤſſen es die armen Kinder auch wollen, genug,
wenn ſie nur bunte,Bildchen dabei ſehn. Die Maͤhr¬
chen, dieſe echte Kinderpoeſie, ſind lange verachtet
und verdammt geweſen. Was ſollen dieſe Kindereien?
hieß es, und man hatte doch Kinder vor ſich. Man
fuͤrchtete, die Maͤhrchen pflanzten der kindlichen Seele
Aberglauben ein, oder wenigſtens, ſie beſchaͤftigten
die Phantaſie zu ſtark und zoͤgen vom Lernen ab.
Man erfand daher die lehrreichen Erzaͤhlungen und
Beiſpiele aus der wirklichen Kinderwelt, vom from¬
men Gottlieb, vom neugierigen Fraͤnzchen und naſch¬
haften Lottchen, und erſtickte mit dieſer Alltagsproſa
alle natuͤrliche Poeſie in den Kindern. Waͤhrend man
ihnen aber alles Schoͤne nahm, wofuͤr ihre jungen
Herzen ſo empfaͤnglich ſind, und woran ſie ſich wahr¬
haft menſchlich bilden, mißbrauchte man ihr Herz,
wie ihre Phantaſie, um damit ihren noch unentwickel¬
ten Verſtand zu bearbeiten. Alle in der Jugend auf¬
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |