Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.Wir schreiben unsre politischen Broschüren grö߬ Wer über Politik schreibt, muß die Stiefel aus¬ Man rechnet es mit Recht unter die größten Ge¬ Wir ſchreiben unſre politiſchen Broſchuͤren groͤ߬ Wer uͤber Politik ſchreibt, muß die Stiefel aus¬ Man rechnet es mit Recht unter die groͤßten Ge¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0268" n="258"/> <p>Wir ſchreiben unſre politiſchen Broſchuͤren groͤ߬<lb/> tentheils den Englaͤndern und Franzoſen ab. Nur<lb/> wenige ſehr tiefe, ſehr ehrliche und ſehr langweilige<lb/> Buͤcher verlaͤugnen ihr deutſches Gepraͤge nicht. Es<lb/> iſt Schade, daß wir die politiſchen Thaten und Er¬<lb/> fahrungen, und die theils dadurch erworbenen, theils<lb/> angebornen, politiſchen Inſtitutionen, den Charakter<lb/> und die Conſequenz der Englaͤnder nicht auch mit<lb/> uͤberſetzen koͤnnen. Wir haben keine eigne politiſche<lb/> Literatur, weil die Leſer, das Volk, nicht zum poli¬<lb/> tiſchen Handeln berufen ſind, und aus demſelben<lb/> Grunde findet auch die fremde Literatur bei uns nur<lb/> einen unfruchtbaren Boden. Wir leſen Zeitungen und<lb/> Journale, um uns die Zeit zu vertreiben, der Ame¬<lb/> rikaner, der Englaͤnder, der Franzoſe liest ſie, um<lb/> ſich die Zeit zu machen. Wir bekommen dadurch nur<lb/> Traͤume, ſie Affecte; wir ſchlafen, ſie handeln.</p><lb/> <p>Wer uͤber Politik ſchreibt, muß die Stiefel aus¬<lb/> ziehn und auf Socken gehn, wie in einem Kranken¬<lb/> zimmer. Solche Sockentraͤger, altkluge vermittelnde<lb/> Schwaͤtzer gibt es den freilich genug. Sie benutzen<lb/> die Zeit der Windſtille wie die gallertartigen Mol¬<lb/> lusken, um auf der Oberflaͤche des politiſchen Meers<lb/> ihr fahles Licht ſchimmern zu laſſen.</p><lb/> <p>Man rechnet es mit Recht unter die groͤßten Ge¬<lb/> brechen der Zeit, daß nicht nur die Mittheilung der<lb/><hi rendition="#g">Meinungen</hi>, ſondern auch die der <hi rendition="#g">Thatſachen</hi><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [258/0268]
Wir ſchreiben unſre politiſchen Broſchuͤren groͤ߬
tentheils den Englaͤndern und Franzoſen ab. Nur
wenige ſehr tiefe, ſehr ehrliche und ſehr langweilige
Buͤcher verlaͤugnen ihr deutſches Gepraͤge nicht. Es
iſt Schade, daß wir die politiſchen Thaten und Er¬
fahrungen, und die theils dadurch erworbenen, theils
angebornen, politiſchen Inſtitutionen, den Charakter
und die Conſequenz der Englaͤnder nicht auch mit
uͤberſetzen koͤnnen. Wir haben keine eigne politiſche
Literatur, weil die Leſer, das Volk, nicht zum poli¬
tiſchen Handeln berufen ſind, und aus demſelben
Grunde findet auch die fremde Literatur bei uns nur
einen unfruchtbaren Boden. Wir leſen Zeitungen und
Journale, um uns die Zeit zu vertreiben, der Ame¬
rikaner, der Englaͤnder, der Franzoſe liest ſie, um
ſich die Zeit zu machen. Wir bekommen dadurch nur
Traͤume, ſie Affecte; wir ſchlafen, ſie handeln.
Wer uͤber Politik ſchreibt, muß die Stiefel aus¬
ziehn und auf Socken gehn, wie in einem Kranken¬
zimmer. Solche Sockentraͤger, altkluge vermittelnde
Schwaͤtzer gibt es den freilich genug. Sie benutzen
die Zeit der Windſtille wie die gallertartigen Mol¬
lusken, um auf der Oberflaͤche des politiſchen Meers
ihr fahles Licht ſchimmern zu laſſen.
Man rechnet es mit Recht unter die groͤßten Ge¬
brechen der Zeit, daß nicht nur die Mittheilung der
Meinungen, ſondern auch die der Thatſachen
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