dient daher die unermeßliche Literatur der Publicisten und Zeitungen, die aber wesentlich eine ephemere bleibt, weil ihr Gegenstand selbst immer nur die Tagespolitik ist. Mit den politischen Verhältnis¬ sen selbst wechselt ihr Schatten in der periodischen Literatur. Alles wird für den Augenblick gethan, alles für den Augenblick genommen.
Haben die Deutschen noch kein durchgreifendes Interesse für die innern Angelegenheiten der Staaten, so ist doch ihre Neugier sehr erpicht auf die äußern Verhältnisse und Begebenheiten. Kaum war jenes höhere Interesse vor zehn Jahren einmal aufs leb¬ hafteste rege geworden, so ward es auch alsbald auf diese niedrige Neugier beschränkt. Die Literatur der Tagespolitik machte nach den letzten deutschen Krie¬ gen so heftige Freudensprünge, daß sie jetzt etwas lahm darniederliegt. Wie sehr das muthwillige Mäd¬ chen zu bedauern ist, daß sie jetzt unter der Zucht¬ ruthe der gnädigen Tante Censur seufzen muß, so schienen doch allerdings ihre Sitten weder der Zeit, noch die Zeit ihr angemessen. Sie schien wirklich ein wenig übergeschnappt, als sie das erstemal in der europäischen Gesellschaft glänzte, sie kokettirte gar zu romanhaft mit ihrem auserlesenen Chapeau, dem Volke, aber dieser ehrbare Jüngling setzte ihren aus¬ gelassenen Attaken nur eine süße Schamröthe entge¬ gen, bedeckte sich das Gesicht mit beiden Händen und rettete sich unter den Fächer der Tante.
dient daher die unermeßliche Literatur der Publiciſten und Zeitungen, die aber weſentlich eine ephemere bleibt, weil ihr Gegenſtand ſelbſt immer nur die Tagespolitik iſt. Mit den politiſchen Verhaͤltniſ¬ ſen ſelbſt wechſelt ihr Schatten in der periodiſchen Literatur. Alles wird fuͤr den Augenblick gethan, alles fuͤr den Augenblick genommen.
Haben die Deutſchen noch kein durchgreifendes Intereſſe fuͤr die innern Angelegenheiten der Staaten, ſo iſt doch ihre Neugier ſehr erpicht auf die aͤußern Verhaͤltniſſe und Begebenheiten. Kaum war jenes hoͤhere Intereſſe vor zehn Jahren einmal aufs leb¬ hafteſte rege geworden, ſo ward es auch alsbald auf dieſe niedrige Neugier beſchraͤnkt. Die Literatur der Tagespolitik machte nach den letzten deutſchen Krie¬ gen ſo heftige Freudenſpruͤnge, daß ſie jetzt etwas lahm darniederliegt. Wie ſehr das muthwillige Maͤd¬ chen zu bedauern iſt, daß ſie jetzt unter der Zucht¬ ruthe der gnaͤdigen Tante Cenſur ſeufzen muß, ſo ſchienen doch allerdings ihre Sitten weder der Zeit, noch die Zeit ihr angemeſſen. Sie ſchien wirklich ein wenig uͤbergeſchnappt, als ſie das erſtemal in der europaͤiſchen Geſellſchaft glaͤnzte, ſie kokettirte gar zu romanhaft mit ihrem auserleſenen Chapeau, dem Volke, aber dieſer ehrbare Juͤngling ſetzte ihren aus¬ gelaſſenen Attaken nur eine ſuͤße Schamroͤthe entge¬ gen, bedeckte ſich das Geſicht mit beiden Haͤnden und rettete ſich unter den Faͤcher der Tante.
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dient daher die unermeßliche Literatur der Publiciſten
und Zeitungen, die aber weſentlich eine ephemere
bleibt, weil ihr Gegenſtand ſelbſt immer nur die
Tagespolitik iſt. Mit den politiſchen Verhaͤltniſ¬
ſen ſelbſt wechſelt ihr Schatten in der periodiſchen
Literatur. Alles wird fuͤr den Augenblick gethan,
alles fuͤr den Augenblick genommen.
Haben die Deutſchen noch kein durchgreifendes
Intereſſe fuͤr die innern Angelegenheiten der Staaten,
ſo iſt doch ihre Neugier ſehr erpicht auf die aͤußern
Verhaͤltniſſe und Begebenheiten. Kaum war jenes
hoͤhere Intereſſe vor zehn Jahren einmal aufs leb¬
hafteſte rege geworden, ſo ward es auch alsbald auf
dieſe niedrige Neugier beſchraͤnkt. Die Literatur der
Tagespolitik machte nach den letzten deutſchen Krie¬
gen ſo heftige Freudenſpruͤnge, daß ſie jetzt etwas
lahm darniederliegt. Wie ſehr das muthwillige Maͤd¬
chen zu bedauern iſt, daß ſie jetzt unter der Zucht¬
ruthe der gnaͤdigen Tante Cenſur ſeufzen muß, ſo
ſchienen doch allerdings ihre Sitten weder der Zeit,
noch die Zeit ihr angemeſſen. Sie ſchien wirklich ein
wenig uͤbergeſchnappt, als ſie das erſtemal in der
europaͤiſchen Geſellſchaft glaͤnzte, ſie kokettirte gar
zu romanhaft mit ihrem auserleſenen Chapeau, dem
Volke, aber dieſer ehrbare Juͤngling ſetzte ihren aus¬
gelaſſenen Attaken nur eine ſuͤße Schamroͤthe entge¬
gen, bedeckte ſich das Geſicht mit beiden Haͤnden und
rettete ſich unter den Faͤcher der Tante.
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/267>, abgerufen am 17.07.2024.
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