Sofern sie eine geheime Priesterkaste bilden, ist das Volk nicht befugt, sich selbst um das Recht zu be¬ kümmern, denn diese Selbstthätigkeit würde jenes Vorrecht aufheben, wie jede Demokratie die Aristo¬ kratie. Sofern aber die Rechtswissenschaft der Ro¬ manisten ein lebenslängliches Studium erfordert, ist es dem Volke nicht möglich, dieses Recht in seinem ganzem Umfange kennen zu lernen. Das Resultat nun, daß ein Volk, ich will nicht sagen, sein Recht, sondern nur das Recht, nach welchem es gerichtet wird, gar nicht kennt, ist offenbar ein Nachtheil, wohl gar eine Schande. Die Alten, nicht nur Griechen, auch Germanen, unterrichteten die männliche Jugend frühe im Recht, und was kann, außer der Kenntniß des Göttlichen und der Natur, im Unterricht heilsa¬ mer seyn, auf das Leben würdiger vorbereiten, als die Kunde des Staatsrechts? Wir dürfen es aber unsern Schulen nicht vorwerfen, daß sie die Jüng¬ linge in gänzlicher Unwissenheit des Rechts lassen, denn was sollten sie ihnen lehren? etwa jene Gesetze, die der Staat oft selber vergißt, weil ihrer zu viele sind, die selbst den Gesetzgebern so unter den Händen verschwinden, daß man erst auf dem dritten Landtage sich erinnert, man habe auf dem zweiten etwas ver¬ ordnet, ohne zu bemerken, daß man auf dem ersten etwas widersprechendes zum Gesetz gemacht, was noch nicht annullirt worden, so daß nun Ja und Nein im Gesetz steht? wozu sollten aber selbst die klarsten Gesetze der Jugend bekannt gemacht werden,
Sofern ſie eine geheime Prieſterkaſte bilden, iſt das Volk nicht befugt, ſich ſelbſt um das Recht zu be¬ kuͤmmern, denn dieſe Selbſtthaͤtigkeit wuͤrde jenes Vorrecht aufheben, wie jede Demokratie die Ariſto¬ kratie. Sofern aber die Rechtswiſſenſchaft der Ro¬ maniſten ein lebenslaͤngliches Studium erfordert, iſt es dem Volke nicht moͤglich, dieſes Recht in ſeinem ganzem Umfange kennen zu lernen. Das Reſultat nun, daß ein Volk, ich will nicht ſagen, ſein Recht, ſondern nur das Recht, nach welchem es gerichtet wird, gar nicht kennt, iſt offenbar ein Nachtheil, wohl gar eine Schande. Die Alten, nicht nur Griechen, auch Germanen, unterrichteten die maͤnnliche Jugend fruͤhe im Recht, und was kann, außer der Kenntniß des Goͤttlichen und der Natur, im Unterricht heilſa¬ mer ſeyn, auf das Leben wuͤrdiger vorbereiten, als die Kunde des Staatsrechts? Wir duͤrfen es aber unſern Schulen nicht vorwerfen, daß ſie die Juͤng¬ linge in gaͤnzlicher Unwiſſenheit des Rechts laſſen, denn was ſollten ſie ihnen lehren? etwa jene Geſetze, die der Staat oft ſelber vergißt, weil ihrer zu viele ſind, die ſelbſt den Geſetzgebern ſo unter den Haͤnden verſchwinden, daß man erſt auf dem dritten Landtage ſich erinnert, man habe auf dem zweiten etwas ver¬ ordnet, ohne zu bemerken, daß man auf dem erſten etwas widerſprechendes zum Geſetz gemacht, was noch nicht annullirt worden, ſo daß nun Ja und Nein im Geſetz ſteht? wozu ſollten aber ſelbſt die klarſten Geſetze der Jugend bekannt gemacht werden,
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Sofern ſie eine geheime Prieſterkaſte bilden, iſt das
Volk nicht befugt, ſich ſelbſt um das Recht zu be¬
kuͤmmern, denn dieſe Selbſtthaͤtigkeit wuͤrde jenes
Vorrecht aufheben, wie jede Demokratie die Ariſto¬
kratie. Sofern aber die Rechtswiſſenſchaft der Ro¬
maniſten ein lebenslaͤngliches Studium erfordert, iſt
es dem Volke nicht moͤglich, dieſes Recht in ſeinem
ganzem Umfange kennen zu lernen. Das Reſultat
nun, daß ein Volk, ich will nicht ſagen, ſein Recht,
ſondern nur das Recht, nach welchem es gerichtet
wird, gar nicht kennt, iſt offenbar ein Nachtheil, wohl
gar eine Schande. Die Alten, nicht nur Griechen,
auch Germanen, unterrichteten die maͤnnliche Jugend
fruͤhe im Recht, und was kann, außer der Kenntniß
des Goͤttlichen und der Natur, im Unterricht heilſa¬
mer ſeyn, auf das Leben wuͤrdiger vorbereiten, als
die Kunde des Staatsrechts? Wir duͤrfen es aber
unſern Schulen nicht vorwerfen, daß ſie die Juͤng¬
linge in gaͤnzlicher Unwiſſenheit des Rechts laſſen,
denn was ſollten ſie ihnen lehren? etwa jene Geſetze,
die der Staat oft ſelber vergißt, weil ihrer zu viele
ſind, die ſelbſt den Geſetzgebern ſo unter den Haͤnden
verſchwinden, daß man erſt auf dem dritten Landtage
ſich erinnert, man habe auf dem zweiten etwas ver¬
ordnet, ohne zu bemerken, daß man auf dem erſten
etwas widerſprechendes zum Geſetz gemacht, was
noch nicht annullirt worden, ſo daß nun Ja und
Nein im Geſetz ſteht? wozu ſollten aber ſelbſt die
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/263>, abgerufen am 23.11.2024.
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