sich aber auf dieser höchsten Bildungsstufe des Ge¬ schlechts innig verschmelzen. Die Untersuchung, ob ein solcher Zustand möglich sey, gehört der Wissen¬ schaft an, das Leben geht seinen Gang fort und in ihm walten jene Kräfte, die aller Normalität der Wissenschaft fortwährend widerstreben. Die Wissen¬ schaft verändert die Menschen so wenig, als die Na¬ tur. Es ist völlig einerlei, was man in den Men¬ schen hineinpfropft, wozu man ihn zwingt oder über¬ redet, der Haufe bleibt Haufe, Christ oder Heide, Pair oder Paria. Was der Mensch nicht durch seine Naturanlage, durch seinen Genius wird, das wird er auch in Ewigkeit nicht. Der theokratische, wie der tribunicische, der tyrannische wie der sclavische Sinn hängt so innig mit der angebornen Organisa¬ tion des Menschen zusammen, als der Kunsttrieb. Nur, wie oben gesagt worden ist, sofern die Men¬ schen materiell sich gleichen, ist eine materielle Vollen¬ dung des Staates denkbar, alles aber was im Staat auf einem geistigen Princip beruht, wird so lange schwanken, kämpfen, sich bilden und zerstören, als die Menschen geistig verschieden bleiben werden.
Gehn wir von den Theorien ab und betrachten die praktischen Wissenschaften, so müssen wir zu¬ vörderst die innere und äußere Politik unterscheiden, die Organisation der Staaten und ihr Verhältniß zu einander. Da die innern Verhältnisse der Staaten mit den äußern sich in der neuesten Zeit mannigfach verändert haben, so wird auch außerordentlich viel
ſich aber auf dieſer hoͤchſten Bildungsſtufe des Ge¬ ſchlechts innig verſchmelzen. Die Unterſuchung, ob ein ſolcher Zuſtand moͤglich ſey, gehoͤrt der Wiſſen¬ ſchaft an, das Leben geht ſeinen Gang fort und in ihm walten jene Kraͤfte, die aller Normalitaͤt der Wiſſenſchaft fortwaͤhrend widerſtreben. Die Wiſſen¬ ſchaft veraͤndert die Menſchen ſo wenig, als die Na¬ tur. Es iſt voͤllig einerlei, was man in den Men¬ ſchen hineinpfropft, wozu man ihn zwingt oder uͤber¬ redet, der Haufe bleibt Haufe, Chriſt oder Heide, Pair oder Paria. Was der Menſch nicht durch ſeine Naturanlage, durch ſeinen Genius wird, das wird er auch in Ewigkeit nicht. Der theokratiſche, wie der tribuniciſche, der tyranniſche wie der ſclaviſche Sinn haͤngt ſo innig mit der angebornen Organiſa¬ tion des Menſchen zuſammen, als der Kunſttrieb. Nur, wie oben geſagt worden iſt, ſofern die Men¬ ſchen materiell ſich gleichen, iſt eine materielle Vollen¬ dung des Staates denkbar, alles aber was im Staat auf einem geiſtigen Princip beruht, wird ſo lange ſchwanken, kaͤmpfen, ſich bilden und zerſtoͤren, als die Menſchen geiſtig verſchieden bleiben werden.
Gehn wir von den Theorien ab und betrachten die praktiſchen Wiſſenſchaften, ſo muͤſſen wir zu¬ voͤrderſt die innere und aͤußere Politik unterſcheiden, die Organiſation der Staaten und ihr Verhaͤltniß zu einander. Da die innern Verhaͤltniſſe der Staaten mit den aͤußern ſich in der neueſten Zeit mannigfach veraͤndert haben, ſo wird auch außerordentlich viel
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ſich aber auf dieſer hoͤchſten Bildungsſtufe des Ge¬
ſchlechts innig verſchmelzen. Die Unterſuchung, ob
ein ſolcher Zuſtand moͤglich ſey, gehoͤrt der Wiſſen¬
ſchaft an, das Leben geht ſeinen Gang fort und in
ihm walten jene Kraͤfte, die aller Normalitaͤt der
Wiſſenſchaft fortwaͤhrend widerſtreben. Die Wiſſen¬
ſchaft veraͤndert die Menſchen ſo wenig, als die Na¬
tur. Es iſt voͤllig einerlei, was man in den Men¬
ſchen hineinpfropft, wozu man ihn zwingt oder uͤber¬
redet, der Haufe bleibt Haufe, Chriſt oder Heide,
Pair oder Paria. Was der Menſch nicht durch ſeine
Naturanlage, durch ſeinen Genius wird, das wird
er auch in Ewigkeit nicht. Der theokratiſche, wie
der tribuniciſche, der tyranniſche wie der ſclaviſche
Sinn haͤngt ſo innig mit der angebornen Organiſa¬
tion des Menſchen zuſammen, als der Kunſttrieb.
Nur, wie oben geſagt worden iſt, ſofern die Men¬
ſchen materiell ſich gleichen, iſt eine materielle Vollen¬
dung des Staates denkbar, alles aber was im Staat
auf einem geiſtigen Princip beruht, wird ſo lange
ſchwanken, kaͤmpfen, ſich bilden und zerſtoͤren, als
die Menſchen geiſtig verſchieden bleiben werden.
Gehn wir von den Theorien ab und betrachten
die praktiſchen Wiſſenſchaften, ſo muͤſſen wir zu¬
voͤrderſt die innere und aͤußere Politik unterſcheiden,
die Organiſation der Staaten und ihr Verhaͤltniß zu
einander. Da die innern Verhaͤltniſſe der Staaten
mit den aͤußern ſich in der neueſten Zeit mannigfach
veraͤndert haben, ſo wird auch außerordentlich viel
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/249>, abgerufen am 16.02.2025.
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