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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

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gewagt, sind sie zu Schanden worden; Helden haben
durch Ideen eine Art von Weltherrschaft erobert,
aber sobald sie die Idee verlassen, sind sie in Staub
gebrochen. Die Menschen haben gewechselt, nur die
Ideen sind bestanden. Die Geschichte war nur die
Schule der Principien. Das vorige Jahrhundert war
reicher an voraussichtigen Speculationen, das gegen¬
wärtige ist reicher an Rücksichten und Erfahrungs¬
grundsätzen. In beiden liegen die Hebel der Bege¬
benheiten, durch sie wird alles erklärt, was gesche¬
hen ist.

Es gibt nur zwei Principe oder entgegengesetzte
Pole der politischen Welt, und an beide Endpunkte
der großen Achse haben die Parteien sich gelagert
und bekämpfen sich mit steigender Erbitterung. Zwar
gilt nicht jedes Zeichen der Partei für jeden ihrer
Anhänger, zwar wissen manche kaum, daß sie zu die¬
ser bestimmten Partei gehören, zwar bekämpfen sich
die Glieder einer Partei unter einander selbst, so¬
fern sie aus ein und demselben Princip verschiedne
Folgerungen ziehn; im allgemeinen aber muß der
subtilste Kritiker so gut wie das gemeine Zeitungs¬
publikum einen Strich ziehn zwischen Liberalis¬
mus
und Servilismus, Republikanismus und
Autokratie. Welches auch die Nuancen seyn mögen,
jenes claire obscure und jene bis zur Farblosigkeit
gemischten Tinten, in welche beide Hauptfarben in
einander übergehn, diese Hauptfarben selbst verber¬
gen sich nirgends, sie bilden den großen, den einzi¬

gewagt, ſind ſie zu Schanden worden; Helden haben
durch Ideen eine Art von Weltherrſchaft erobert,
aber ſobald ſie die Idee verlaſſen, ſind ſie in Staub
gebrochen. Die Menſchen haben gewechſelt, nur die
Ideen ſind beſtanden. Die Geſchichte war nur die
Schule der Principien. Das vorige Jahrhundert war
reicher an vorausſichtigen Speculationen, das gegen¬
waͤrtige iſt reicher an Ruͤckſichten und Erfahrungs¬
grundſaͤtzen. In beiden liegen die Hebel der Bege¬
benheiten, durch ſie wird alles erklaͤrt, was geſche¬
hen iſt.

Es gibt nur zwei Principe oder entgegengeſetzte
Pole der politiſchen Welt, und an beide Endpunkte
der großen Achſe haben die Parteien ſich gelagert
und bekaͤmpfen ſich mit ſteigender Erbitterung. Zwar
gilt nicht jedes Zeichen der Partei fuͤr jeden ihrer
Anhaͤnger, zwar wiſſen manche kaum, daß ſie zu die¬
ſer beſtimmten Partei gehoͤren, zwar bekaͤmpfen ſich
die Glieder einer Partei unter einander ſelbſt, ſo¬
fern ſie aus ein und demſelben Princip verſchiedne
Folgerungen ziehn; im allgemeinen aber muß der
ſubtilſte Kritiker ſo gut wie das gemeine Zeitungs¬
publikum einen Strich ziehn zwiſchen Liberalis¬
mus
und Servilismus, Republikanismus und
Autokratie. Welches auch die Nuancen ſeyn moͤgen,
jenes claire obscure und jene bis zur Farbloſigkeit
gemiſchten Tinten, in welche beide Hauptfarben in
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[222/0232] gewagt, ſind ſie zu Schanden worden; Helden haben durch Ideen eine Art von Weltherrſchaft erobert, aber ſobald ſie die Idee verlaſſen, ſind ſie in Staub gebrochen. Die Menſchen haben gewechſelt, nur die Ideen ſind beſtanden. Die Geſchichte war nur die Schule der Principien. Das vorige Jahrhundert war reicher an vorausſichtigen Speculationen, das gegen¬ waͤrtige iſt reicher an Ruͤckſichten und Erfahrungs¬ grundſaͤtzen. In beiden liegen die Hebel der Bege¬ benheiten, durch ſie wird alles erklaͤrt, was geſche¬ hen iſt. Es gibt nur zwei Principe oder entgegengeſetzte Pole der politiſchen Welt, und an beide Endpunkte der großen Achſe haben die Parteien ſich gelagert und bekaͤmpfen ſich mit ſteigender Erbitterung. Zwar gilt nicht jedes Zeichen der Partei fuͤr jeden ihrer Anhaͤnger, zwar wiſſen manche kaum, daß ſie zu die¬ ſer beſtimmten Partei gehoͤren, zwar bekaͤmpfen ſich die Glieder einer Partei unter einander ſelbſt, ſo¬ fern ſie aus ein und demſelben Princip verſchiedne Folgerungen ziehn; im allgemeinen aber muß der ſubtilſte Kritiker ſo gut wie das gemeine Zeitungs¬ publikum einen Strich ziehn zwiſchen Liberalis¬ mus und Servilismus, Republikanismus und Autokratie. Welches auch die Nuancen ſeyn moͤgen, jenes claire obscure und jene bis zur Farbloſigkeit gemiſchten Tinten, in welche beide Hauptfarben in einander uͤbergehn, dieſe Hauptfarben ſelbſt verber¬ gen ſich nirgends, ſie bilden den großen, den einzi¬

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/232>, abgerufen am 21.11.2024.