Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.wollen nur die Früchte eines fremden Denkens und Allerdings spiegelt die Literatur das Leben nicht Die Literatur sey immer nur ein Mittel unsres wollen nur die Fruͤchte eines fremden Denkens und Allerdings ſpiegelt die Literatur das Leben nicht Die Literatur ſey immer nur ein Mittel unſres <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0023" n="13"/> wollen nur die Fruͤchte eines fremden Denkens und<lb/> Handelns genießen, die aber der Traͤgheit beſtaͤndig<lb/> wie dem Tantalus entfliehen; bald fuͤrchten ſie, den<lb/> Alten nicht mehr gleichen zu koͤnnen und machen ſich<lb/> traͤg aus Reſignation.</p><lb/> <p>Allerdings ſpiegelt die Literatur das Leben nicht<lb/> nur umfaſſender, ſondern auch reiner, als irgend ein<lb/> andres Denkmal, weil kein andres Darſtellungsmit¬<lb/> tel den Umfang und die Tiefe der Sprache darbietet.<lb/> Doch hat die Sprache Grenzen, und nur das Leben<lb/> keine. Den Abgrund des Lebens hat noch kein Buch<lb/> geſchloſſen. Es ſind nur Saiten, die in euch ange¬<lb/> ſchlagen werden, wenn ihr ein Buch leſet, die un¬<lb/> endliche Harmonie, die in eurem wie in aller Leben<lb/> ſchlummert, hat noch kein Buch ganz ergriffen. Darum<lb/> hoffet nimmer in jenen Notenbuͤchern den Schluͤſſel<lb/> zu allen Toͤnen des Lebens zu finden, und begrabt<lb/> euch nicht zu ſehr in den Schulſtuben, laßt euch viel¬<lb/> mehr gerne und oft vom friſchen Lebenswinde die<lb/> innere Äolsharfe frei und natuͤrlich, ſanft und ſtuͤr¬<lb/> miſch bewegen.</p><lb/> <p>Die Literatur ſey immer nur ein Mittel unſres<lb/> Lebens, nie der Zweck, dem allein wir es zum Opfer<lb/> braͤchten. Wohl iſt es herrlich, an der Erinnerung<lb/> des vergangenen Lebens das gegenwaͤrtige zu ſpie¬<lb/> geln und zu bilden, auf die Mitwelt durch das Wort<lb/> zu wirken und der Nachwelt ein Gedaͤchtniß unſres<lb/> Lebens zu uͤberliefern, wenn es des Gedaͤchtniſſes<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [13/0023]
wollen nur die Fruͤchte eines fremden Denkens und
Handelns genießen, die aber der Traͤgheit beſtaͤndig
wie dem Tantalus entfliehen; bald fuͤrchten ſie, den
Alten nicht mehr gleichen zu koͤnnen und machen ſich
traͤg aus Reſignation.
Allerdings ſpiegelt die Literatur das Leben nicht
nur umfaſſender, ſondern auch reiner, als irgend ein
andres Denkmal, weil kein andres Darſtellungsmit¬
tel den Umfang und die Tiefe der Sprache darbietet.
Doch hat die Sprache Grenzen, und nur das Leben
keine. Den Abgrund des Lebens hat noch kein Buch
geſchloſſen. Es ſind nur Saiten, die in euch ange¬
ſchlagen werden, wenn ihr ein Buch leſet, die un¬
endliche Harmonie, die in eurem wie in aller Leben
ſchlummert, hat noch kein Buch ganz ergriffen. Darum
hoffet nimmer in jenen Notenbuͤchern den Schluͤſſel
zu allen Toͤnen des Lebens zu finden, und begrabt
euch nicht zu ſehr in den Schulſtuben, laßt euch viel¬
mehr gerne und oft vom friſchen Lebenswinde die
innere Äolsharfe frei und natuͤrlich, ſanft und ſtuͤr¬
miſch bewegen.
Die Literatur ſey immer nur ein Mittel unſres
Lebens, nie der Zweck, dem allein wir es zum Opfer
braͤchten. Wohl iſt es herrlich, an der Erinnerung
des vergangenen Lebens das gegenwaͤrtige zu ſpie¬
geln und zu bilden, auf die Mitwelt durch das Wort
zu wirken und der Nachwelt ein Gedaͤchtniß unſres
Lebens zu uͤberliefern, wenn es des Gedaͤchtniſſes
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