Alterthum verkündigen, für welche Hesiod und Homer nicht ausreichen, so fürchtet die ältere Partei dadurch in den Schatten gestellt zu werden, und wehrt sich, den seligen Voß an der Spitze, mit Hyänengrimm um die Leichen und Gräber des Alterthums. Dieser Kampf der Philologen greift in die eigentliche Ge¬ schichtsforschung hinüber.
Was das Sprachstudium überhaupt betrifft, so trägt es zwar seinen Werth in sich selbst und ist ohne Zweifel sehr wohlthätig für das jugendliche Al¬ ter, herrscht aber doch auf unsern gelehrten Anstalten nur allzu einseitig vor.
Wer sollte auf einer ältern deutschen Schule er¬ zogen worden seyn, und nicht eine starke Rivalität zwischen dem philologischen und realistischen Unter¬ richt bemerkt haben? In der Regel aber wird man finden, daß die Philologen auf solchen Schulen ein unverhältnißmäßiges Übergewicht behaupten, daß na¬ mentlich, wo Classenordnung eingeführt ist, in jeder Classe die Philologie einseitig vorherrscht. Einzig hieraus erklärt sich die Einführung der Fächerord¬ nung in einzelnen Schulen und die Errichtung beson¬ derer Realschulen. Immer aber sprechen die Philo¬ logen ein Vorrecht an, halten sich für etwas viel Höheres als die Realisten, und bilden eine stolze aristokratische Kaste.
Die Philologie ist für den Unterricht zum Theil so verderblich geworden, wie die äußern Gebräuche für den Gottesdienst. Wie dort die wahre Andacht
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Alterthum verkuͤndigen, fuͤr welche Heſiod und Homer nicht ausreichen, ſo fuͤrchtet die aͤltere Partei dadurch in den Schatten geſtellt zu werden, und wehrt ſich, den ſeligen Voß an der Spitze, mit Hyaͤnengrimm um die Leichen und Graͤber des Alterthums. Dieſer Kampf der Philologen greift in die eigentliche Ge¬ ſchichtsforſchung hinuͤber.
Was das Sprachſtudium uͤberhaupt betrifft, ſo traͤgt es zwar ſeinen Werth in ſich ſelbſt und iſt ohne Zweifel ſehr wohlthaͤtig fuͤr das jugendliche Al¬ ter, herrſcht aber doch auf unſern gelehrten Anſtalten nur allzu einſeitig vor.
Wer ſollte auf einer aͤltern deutſchen Schule er¬ zogen worden ſeyn, und nicht eine ſtarke Rivalitaͤt zwiſchen dem philologiſchen und realiſtiſchen Unter¬ richt bemerkt haben? In der Regel aber wird man finden, daß die Philologen auf ſolchen Schulen ein unverhaͤltnißmaͤßiges Übergewicht behaupten, daß na¬ mentlich, wo Claſſenordnung eingefuͤhrt iſt, in jeder Claſſe die Philologie einſeitig vorherrſcht. Einzig hieraus erklaͤrt ſich die Einfuͤhrung der Faͤcherord¬ nung in einzelnen Schulen und die Errichtung beſon¬ derer Realſchulen. Immer aber ſprechen die Philo¬ logen ein Vorrecht an, halten ſich fuͤr etwas viel Hoͤheres als die Realiſten, und bilden eine ſtolze ariſtokratiſche Kaſte.
Die Philologie iſt fuͤr den Unterricht zum Theil ſo verderblich geworden, wie die aͤußern Gebraͤuche fuͤr den Gottesdienſt. Wie dort die wahre Andacht
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Alterthum verkuͤndigen, fuͤr welche Heſiod und Homer
nicht ausreichen, ſo fuͤrchtet die aͤltere Partei dadurch
in den Schatten geſtellt zu werden, und wehrt ſich,
den ſeligen Voß an der Spitze, mit Hyaͤnengrimm
um die Leichen und Graͤber des Alterthums. Dieſer
Kampf der Philologen greift in die eigentliche Ge¬
ſchichtsforſchung hinuͤber.
Was das Sprachſtudium uͤberhaupt betrifft, ſo
traͤgt es zwar ſeinen Werth in ſich ſelbſt und iſt
ohne Zweifel ſehr wohlthaͤtig fuͤr das jugendliche Al¬
ter, herrſcht aber doch auf unſern gelehrten Anſtalten
nur allzu einſeitig vor.
Wer ſollte auf einer aͤltern deutſchen Schule er¬
zogen worden ſeyn, und nicht eine ſtarke Rivalitaͤt
zwiſchen dem philologiſchen und realiſtiſchen Unter¬
richt bemerkt haben? In der Regel aber wird man
finden, daß die Philologen auf ſolchen Schulen ein
unverhaͤltnißmaͤßiges Übergewicht behaupten, daß na¬
mentlich, wo Claſſenordnung eingefuͤhrt iſt, in jeder
Claſſe die Philologie einſeitig vorherrſcht. Einzig
hieraus erklaͤrt ſich die Einfuͤhrung der Faͤcherord¬
nung in einzelnen Schulen und die Errichtung beſon¬
derer Realſchulen. Immer aber ſprechen die Philo¬
logen ein Vorrecht an, halten ſich fuͤr etwas viel
Hoͤheres als die Realiſten, und bilden eine ſtolze
ariſtokratiſche Kaſte.
Die Philologie iſt fuͤr den Unterricht zum Theil
ſo verderblich geworden, wie die aͤußern Gebraͤuche
fuͤr den Gottesdienſt. Wie dort die wahre Andacht
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/205>, abgerufen am 21.07.2024.
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