der Menge einen gewaltigen Stoß beigebracht. So¬ fern von der gelehrten Pedanterei die Rede ist, hat der Dichter immer Recht. Wenn der Philosoph, gleich jenem heroischen Archimedes, selbst durch die Todes¬ gefahr, geschweige durch des Dichters Tadel, sich nimmer stören läßt im Forschen und Untersuchen, so mag der Dichter, der Liebling der Natur, an der Seite dieser Natur, ihre Unerforschlichkeit, den ewi¬ gen Talisman, womit sie uns bezaubert und be¬ herrscht, vertheidigen. Er mag einem schalkhaften Amor gleich seine Venus vertheidigen und den zu¬ dringlichen Philosophen verblenden und verwirren. Der Streit der Philosophie und Poesie, der uralt ist, soll in keine Gehässigkeit ausarten, vielmehr das schöne Wechselspiel unsrer edelsten Kräfte bleiben, und wer aus der Menge sich mehr dem Denker, oder mehr dem Dichter verwandt fühlt, mag wählen nach Gefallen.
Im Besondern hat jede große philosophische Schule einer Richtung des Zeitalters entsprochen, in Wech¬ selwirkung sie erzeugend und von ihr erzeugt. Man kann selten unterscheiden, wie fern ein Mann mehr auf seine Zeit, oder diese mehr auf ihn gewirkt. Große Geister sind nur die Spiegel der Zeit, durch die sie eben geschliffen werden.
Kant hat die ganze Literatur bewegt und den größten Ruhm, die weiteste Verbreitung gefunden. Seine Lehren haben den Forschungsgeist angeregt, der Philosophie selbst den größten Impuls gegeben,
der Menge einen gewaltigen Stoß beigebracht. So¬ fern von der gelehrten Pedanterei die Rede iſt, hat der Dichter immer Recht. Wenn der Philoſoph, gleich jenem heroiſchen Archimedes, ſelbſt durch die Todes¬ gefahr, geſchweige durch des Dichters Tadel, ſich nimmer ſtoͤren laͤßt im Forſchen und Unterſuchen, ſo mag der Dichter, der Liebling der Natur, an der Seite dieſer Natur, ihre Unerforſchlichkeit, den ewi¬ gen Talisman, womit ſie uns bezaubert und be¬ herrſcht, vertheidigen. Er mag einem ſchalkhaften Amor gleich ſeine Venus vertheidigen und den zu¬ dringlichen Philoſophen verblenden und verwirren. Der Streit der Philoſophie und Poeſie, der uralt iſt, ſoll in keine Gehaͤſſigkeit ausarten, vielmehr das ſchoͤne Wechſelſpiel unſrer edelſten Kraͤfte bleiben, und wer aus der Menge ſich mehr dem Denker, oder mehr dem Dichter verwandt fuͤhlt, mag waͤhlen nach Gefallen.
Im Beſondern hat jede große philoſophiſche Schule einer Richtung des Zeitalters entſprochen, in Wech¬ ſelwirkung ſie erzeugend und von ihr erzeugt. Man kann ſelten unterſcheiden, wie fern ein Mann mehr auf ſeine Zeit, oder dieſe mehr auf ihn gewirkt. Große Geiſter ſind nur die Spiegel der Zeit, durch die ſie eben geſchliffen werden.
Kant hat die ganze Literatur bewegt und den groͤßten Ruhm, die weiteſte Verbreitung gefunden. Seine Lehren haben den Forſchungsgeiſt angeregt, der Philoſophie ſelbſt den groͤßten Impuls gegeben,
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der Menge einen gewaltigen Stoß beigebracht. So¬
fern von der gelehrten Pedanterei die Rede iſt, hat
der Dichter immer Recht. Wenn der Philoſoph, gleich
jenem heroiſchen Archimedes, ſelbſt durch die Todes¬
gefahr, geſchweige durch des Dichters Tadel, ſich
nimmer ſtoͤren laͤßt im Forſchen und Unterſuchen, ſo
mag der Dichter, der Liebling der Natur, an der
Seite dieſer Natur, ihre Unerforſchlichkeit, den ewi¬
gen Talisman, womit ſie uns bezaubert und be¬
herrſcht, vertheidigen. Er mag einem ſchalkhaften
Amor gleich ſeine Venus vertheidigen und den zu¬
dringlichen Philoſophen verblenden und verwirren.
Der Streit der Philoſophie und Poeſie, der uralt
iſt, ſoll in keine Gehaͤſſigkeit ausarten, vielmehr das
ſchoͤne Wechſelſpiel unſrer edelſten Kraͤfte bleiben,
und wer aus der Menge ſich mehr dem Denker, oder
mehr dem Dichter verwandt fuͤhlt, mag waͤhlen nach
Gefallen.
Im Beſondern hat jede große philoſophiſche Schule
einer Richtung des Zeitalters entſprochen, in Wech¬
ſelwirkung ſie erzeugend und von ihr erzeugt. Man
kann ſelten unterſcheiden, wie fern ein Mann mehr
auf ſeine Zeit, oder dieſe mehr auf ihn gewirkt.
Große Geiſter ſind nur die Spiegel der Zeit, durch
die ſie eben geſchliffen werden.
Kant hat die ganze Literatur bewegt und den
groͤßten Ruhm, die weiteſte Verbreitung gefunden.
Seine Lehren haben den Forſchungsgeiſt angeregt,
der Philoſophie ſelbſt den groͤßten Impuls gegeben,
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/192>, abgerufen am 17.07.2024.
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