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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

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von der Sucht nach Natur und Originalität befallen
worden, wie die Damen und Studenten, wie die
Dichter und Virtuosen. Sie hat alle alte Autorität
abgeworfen und frisch von vorn selbst gedacht, aber
ihre Gedanken waren oft nicht werth, gedacht zu
werden. Endlich hat sie Gefühl und Phantasie zu
Hülfe gerufen und mit girrendem Flötenton oder tür¬
kischer Musik bachantische Tänze um den Altar der
Wahrheit aufgeführt, oder aus mystischen Nebeln un¬
begreifliche Orakel gestammelt. Der Schulstube, dem
bezopften Orbil entrissen, ist sie alt genug geworden,
in die Schule der Liebe zu gehn, sich schwärmerisch
dem Geliebten in die Arme zu werfen. Doch unab¬
hängig von diesem Treiben der Menge, sind große
Genien mit männlichem Verstand ihrer Zeit voran¬
geschritten und haben lächelnd zugesehn, wie man
mit ihren Gedanken kindische Abgötterei getrieben.

Insbesondere tadelt man an unsern Philosophen
mit Recht den schulmeisterlichen Hochmuth,
wiewohl ihn noch kein neuer Lucian scharf genug ge¬
geißelt hat. Es ist in der That lächerlich die Wei¬
sen zu sehn, wie sie gleich erbosten Hähnen einander
blutig hacken und dann auf dem nächsten Dachgiebel
wieder mit stolzgehobenem Schopfe krähen und auf
die kleine Welt herunterblicken.

Der Vorwurf der Unpopularität trifft unsre
Philosophen fast ohne Ausnahme. Sie haben von
den Griechen und Scholastikern eine fremde Termi¬
nologie entlehnt, anfangs selbst noch lateinisch ge¬

von der Sucht nach Natur und Originalitaͤt befallen
worden, wie die Damen und Studenten, wie die
Dichter und Virtuoſen. Sie hat alle alte Autoritaͤt
abgeworfen und friſch von vorn ſelbſt gedacht, aber
ihre Gedanken waren oft nicht werth, gedacht zu
werden. Endlich hat ſie Gefuͤhl und Phantaſie zu
Huͤlfe gerufen und mit girrendem Floͤtenton oder tuͤr¬
kiſcher Muſik bachantiſche Taͤnze um den Altar der
Wahrheit aufgefuͤhrt, oder aus myſtiſchen Nebeln un¬
begreifliche Orakel geſtammelt. Der Schulſtube, dem
bezopften Orbil entriſſen, iſt ſie alt genug geworden,
in die Schule der Liebe zu gehn, ſich ſchwaͤrmeriſch
dem Geliebten in die Arme zu werfen. Doch unab¬
haͤngig von dieſem Treiben der Menge, ſind große
Genien mit maͤnnlichem Verſtand ihrer Zeit voran¬
geſchritten und haben laͤchelnd zugeſehn, wie man
mit ihren Gedanken kindiſche Abgoͤtterei getrieben.

Insbeſondere tadelt man an unſern Philoſophen
mit Recht den ſchulmeiſterlichen Hochmuth,
wiewohl ihn noch kein neuer Lucian ſcharf genug ge¬
geißelt hat. Es iſt in der That laͤcherlich die Wei¬
ſen zu ſehn, wie ſie gleich erboſten Haͤhnen einander
blutig hacken und dann auf dem naͤchſten Dachgiebel
wieder mit ſtolzgehobenem Schopfe kraͤhen und auf
die kleine Welt herunterblicken.

Der Vorwurf der Unpopularitaͤt trifft unſre
Philoſophen faſt ohne Ausnahme. Sie haben von
den Griechen und Scholaſtikern eine fremde Termi¬
nologie entlehnt, anfangs ſelbſt noch lateiniſch ge¬

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[175/0185] von der Sucht nach Natur und Originalitaͤt befallen worden, wie die Damen und Studenten, wie die Dichter und Virtuoſen. Sie hat alle alte Autoritaͤt abgeworfen und friſch von vorn ſelbſt gedacht, aber ihre Gedanken waren oft nicht werth, gedacht zu werden. Endlich hat ſie Gefuͤhl und Phantaſie zu Huͤlfe gerufen und mit girrendem Floͤtenton oder tuͤr¬ kiſcher Muſik bachantiſche Taͤnze um den Altar der Wahrheit aufgefuͤhrt, oder aus myſtiſchen Nebeln un¬ begreifliche Orakel geſtammelt. Der Schulſtube, dem bezopften Orbil entriſſen, iſt ſie alt genug geworden, in die Schule der Liebe zu gehn, ſich ſchwaͤrmeriſch dem Geliebten in die Arme zu werfen. Doch unab¬ haͤngig von dieſem Treiben der Menge, ſind große Genien mit maͤnnlichem Verſtand ihrer Zeit voran¬ geſchritten und haben laͤchelnd zugeſehn, wie man mit ihren Gedanken kindiſche Abgoͤtterei getrieben. Insbeſondere tadelt man an unſern Philoſophen mit Recht den ſchulmeiſterlichen Hochmuth, wiewohl ihn noch kein neuer Lucian ſcharf genug ge¬ geißelt hat. Es iſt in der That laͤcherlich die Wei¬ ſen zu ſehn, wie ſie gleich erboſten Haͤhnen einander blutig hacken und dann auf dem naͤchſten Dachgiebel wieder mit ſtolzgehobenem Schopfe kraͤhen und auf die kleine Welt herunterblicken. Der Vorwurf der Unpopularitaͤt trifft unſre Philoſophen faſt ohne Ausnahme. Sie haben von den Griechen und Scholaſtikern eine fremde Termi¬ nologie entlehnt, anfangs ſelbſt noch lateiniſch ge¬

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/185>, abgerufen am 23.11.2024.