Herzens in einer höchsten Einheit verbunden liegen, in dessen reingestimmter Seele die Accorde voll er¬ klingen, in denen alles Lebens Harmonie gedeutet wird. Geister wie Kant, Schelling, Görres zeigen uns erst, was die Welt ist, indem sie sie in ihrem Geiste spiegeln, und was der Geist ist, indem sie ihn in der Welt spiegeln. Je weiter aber die Welt erschlossen wird, desto größer werden die Geister, je größer die Geister sind, desto größer schaffen sie die Welt. Der höchste Triumph des Philosophen ist, daß er von innen heraus die Welt durch die Er¬ kenntniß neu schafft und bildet wie ein Kunstwerk, daß er immer freier wird, je mehr er sie begreift, daß die größte Last des Wissens seinem Genius die leichtesten Schwingen leiht. Der höchste Triumph der Philosophie ist dagegen, daß sie niemals alleingültig wird, daß sie die Erkenntniß der Welt stets an die Eigenthümlichkeit geistiger Naturen knüpft, daß sie die Welt immer nur im Spiegel eines individuellen Geistes zeigt, daß folglich der größte Philosoph den größern nicht ausschließt. Man kann die Philosophie mit der Musik vergleichen. Die Philosophen spielen auf der Welt. Hier und dort vernehmen wir die wunderbarsten und herrlichsten Melodien. Wir be¬ dauern die Schüler, die dem Instrumente nicht gewach¬ sen sind, weil die tönereichste Flöte dem Ungeschick¬ ten doch nur ein Holz ist. Wer aber ist ein Meister der Gegenwart und glaubt, der Quell der Töne sey erschöpft und versiegt durch seine Kunst? Immer
Herzens in einer hoͤchſten Einheit verbunden liegen, in deſſen reingeſtimmter Seele die Accorde voll er¬ klingen, in denen alles Lebens Harmonie gedeutet wird. Geiſter wie Kant, Schelling, Goͤrres zeigen uns erſt, was die Welt iſt, indem ſie ſie in ihrem Geiſte ſpiegeln, und was der Geiſt iſt, indem ſie ihn in der Welt ſpiegeln. Je weiter aber die Welt erſchloſſen wird, deſto groͤßer werden die Geiſter, je groͤßer die Geiſter ſind, deſto groͤßer ſchaffen ſie die Welt. Der hoͤchſte Triumph des Philoſophen iſt, daß er von innen heraus die Welt durch die Er¬ kenntniß neu ſchafft und bildet wie ein Kunſtwerk, daß er immer freier wird, je mehr er ſie begreift, daß die groͤßte Laſt des Wiſſens ſeinem Genius die leichteſten Schwingen leiht. Der hoͤchſte Triumph der Philoſophie iſt dagegen, daß ſie niemals alleinguͤltig wird, daß ſie die Erkenntniß der Welt ſtets an die Eigenthuͤmlichkeit geiſtiger Naturen knuͤpft, daß ſie die Welt immer nur im Spiegel eines individuellen Geiſtes zeigt, daß folglich der groͤßte Philoſoph den groͤßern nicht ausſchließt. Man kann die Philoſophie mit der Muſik vergleichen. Die Philoſophen ſpielen auf der Welt. Hier und dort vernehmen wir die wunderbarſten und herrlichſten Melodien. Wir be¬ dauern die Schuͤler, die dem Inſtrumente nicht gewach¬ ſen ſind, weil die toͤnereichſte Floͤte dem Ungeſchick¬ ten doch nur ein Holz iſt. Wer aber iſt ein Meiſter der Gegenwart und glaubt, der Quell der Toͤne ſey erſchoͤpft und verſiegt durch ſeine Kunſt? Immer
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Herzens in einer hoͤchſten Einheit verbunden liegen,
in deſſen reingeſtimmter Seele die Accorde voll er¬
klingen, in denen alles Lebens Harmonie gedeutet
wird. Geiſter wie Kant, Schelling, Goͤrres zeigen
uns erſt, was die Welt iſt, indem ſie ſie in ihrem
Geiſte ſpiegeln, und was der Geiſt iſt, indem ſie
ihn in der Welt ſpiegeln. Je weiter aber die Welt
erſchloſſen wird, deſto groͤßer werden die Geiſter,
je groͤßer die Geiſter ſind, deſto groͤßer ſchaffen ſie
die Welt. Der hoͤchſte Triumph des Philoſophen iſt,
daß er von innen heraus die Welt durch die Er¬
kenntniß neu ſchafft und bildet wie ein Kunſtwerk,
daß er immer freier wird, je mehr er ſie begreift,
daß die groͤßte Laſt des Wiſſens ſeinem Genius die
leichteſten Schwingen leiht. Der hoͤchſte Triumph der
Philoſophie iſt dagegen, daß ſie niemals alleinguͤltig
wird, daß ſie die Erkenntniß der Welt ſtets an die
Eigenthuͤmlichkeit geiſtiger Naturen knuͤpft, daß ſie
die Welt immer nur im Spiegel eines individuellen
Geiſtes zeigt, daß folglich der groͤßte Philoſoph den
groͤßern nicht ausſchließt. Man kann die Philoſophie
mit der Muſik vergleichen. Die Philoſophen ſpielen
auf der Welt. Hier und dort vernehmen wir die
wunderbarſten und herrlichſten Melodien. Wir be¬
dauern die Schuͤler, die dem Inſtrumente nicht gewach¬
ſen ſind, weil die toͤnereichſte Floͤte dem Ungeſchick¬
ten doch nur ein Holz iſt. Wer aber iſt ein Meiſter
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/182>, abgerufen am 17.02.2025.
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