Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

Bild:
<< vorherige Seite

dualistischen Identitätslehre. Geist und Natur sind
ihm zugleich nur Emanationen, Erscheinungen, Äuße¬
rungen und Evolutionen der göttlichen Idee. Er pa¬
rallelisirt daher auch das System des Idealismus
und Materialismus und neutralisirt die Extreme. Dies
ist Spinozismus, aber in höherer Potenz. Nur nach
Kant und Fichte konnte Spinoza's Versprechen er¬
füllt werden. Es bedurfte jedoch eines gleich großen
Geistes, Schelling vor Kant, oder Spinoza nach
Kant zu seyn. Die Identitätslehre hat vor jeder an¬
dern Philosophie augenscheinliche Vorzüge. Der Eklek¬
tiker, der die Reihe der Systeme mustert, findet hier
die Vermittelung der Extreme. Er bemerkt, daß jede
Philosophie die andre ausschließt, hier findet er sie
mit einander verbunden. Der Mathematiker, der die
gesammte Philosophie als eine Sphäre betrachtet, fin¬
det in Schelling's Princip den magnetischen Mittel¬
punkt, der die entgegengesetzten Pole der Subjects-
und Objectslehre, der Geistes- und Naturphilosophie
zugleich spannt und bindet. Der Schematismus die¬
ser Philosophie erscheint also als der vollkommenste,
den wir bis jetzt kennen. Die Ausführung ist aber
den Bedingungen der menschlichen Unvollkommenheit
unterworfen. Dies hat dahin geführt, daß die Phi¬
losophie den alten Kreislauf dennoch wiederholt. Die
Schule Schelling's ist nach den beiden in ihr liegen¬
den Potenzen wieder in zwei einseitige Hauptsysteme
zerfallen. Oken hat den materiellen Pol vorwiegen
lassen und die Identität des Geistes mit der Natur

dualiſtiſchen Identitaͤtslehre. Geiſt und Natur ſind
ihm zugleich nur Emanationen, Erſcheinungen, Äuße¬
rungen und Evolutionen der goͤttlichen Idee. Er pa¬
ralleliſirt daher auch das Syſtem des Idealismus
und Materialismus und neutraliſirt die Extreme. Dies
iſt Spinozismus, aber in hoͤherer Potenz. Nur nach
Kant und Fichte konnte Spinoza's Verſprechen er¬
fuͤllt werden. Es bedurfte jedoch eines gleich großen
Geiſtes, Schelling vor Kant, oder Spinoza nach
Kant zu ſeyn. Die Identitaͤtslehre hat vor jeder an¬
dern Philoſophie augenſcheinliche Vorzuͤge. Der Eklek¬
tiker, der die Reihe der Syſteme muſtert, findet hier
die Vermittelung der Extreme. Er bemerkt, daß jede
Philoſophie die andre ausſchließt, hier findet er ſie
mit einander verbunden. Der Mathematiker, der die
geſammte Philoſophie als eine Sphaͤre betrachtet, fin¬
det in Schelling's Princip den magnetiſchen Mittel¬
punkt, der die entgegengeſetzten Pole der Subjects-
und Objectslehre, der Geiſtes- und Naturphiloſophie
zugleich ſpannt und bindet. Der Schematismus die¬
ſer Philoſophie erſcheint alſo als der vollkommenſte,
den wir bis jetzt kennen. Die Ausfuͤhrung iſt aber
den Bedingungen der menſchlichen Unvollkommenheit
unterworfen. Dies hat dahin gefuͤhrt, daß die Phi¬
loſophie den alten Kreislauf dennoch wiederholt. Die
Schule Schelling's iſt nach den beiden in ihr liegen¬
den Potenzen wieder in zwei einſeitige Hauptſyſteme
zerfallen. Oken hat den materiellen Pol vorwiegen
laſſen und die Identitaͤt des Geiſtes mit der Natur

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0177" n="167"/>
duali&#x017F;ti&#x017F;chen Identita&#x0364;tslehre. Gei&#x017F;t und Natur &#x017F;ind<lb/>
ihm zugleich nur Emanationen, Er&#x017F;cheinungen, Äuße¬<lb/>
rungen und Evolutionen der go&#x0364;ttlichen Idee. Er pa¬<lb/>
ralleli&#x017F;irt daher auch das Sy&#x017F;tem des Idealismus<lb/>
und Materialismus und neutrali&#x017F;irt die Extreme. Dies<lb/>
i&#x017F;t Spinozismus, aber in ho&#x0364;herer Potenz. Nur nach<lb/>
Kant und Fichte konnte Spinoza's Ver&#x017F;prechen er¬<lb/>
fu&#x0364;llt werden. Es bedurfte jedoch eines gleich großen<lb/>
Gei&#x017F;tes, Schelling vor Kant, oder Spinoza nach<lb/>
Kant zu &#x017F;eyn. Die Identita&#x0364;tslehre hat vor jeder an¬<lb/>
dern Philo&#x017F;ophie augen&#x017F;cheinliche Vorzu&#x0364;ge. Der Eklek¬<lb/>
tiker, der die Reihe der Sy&#x017F;teme mu&#x017F;tert, findet hier<lb/>
die Vermittelung der Extreme. Er bemerkt, daß jede<lb/>
Philo&#x017F;ophie die andre aus&#x017F;chließt, hier findet er &#x017F;ie<lb/>
mit einander verbunden. Der Mathematiker, der die<lb/>
ge&#x017F;ammte Philo&#x017F;ophie als eine Spha&#x0364;re betrachtet, fin¬<lb/>
det in Schelling's Princip den magneti&#x017F;chen Mittel¬<lb/>
punkt, der die entgegenge&#x017F;etzten Pole der Subjects-<lb/>
und Objectslehre, der Gei&#x017F;tes- und Naturphilo&#x017F;ophie<lb/>
zugleich &#x017F;pannt und bindet. Der Schematismus die¬<lb/>
&#x017F;er Philo&#x017F;ophie er&#x017F;cheint al&#x017F;o als der vollkommen&#x017F;te,<lb/>
den wir bis jetzt kennen. Die Ausfu&#x0364;hrung i&#x017F;t aber<lb/>
den Bedingungen der men&#x017F;chlichen Unvollkommenheit<lb/>
unterworfen. Dies hat dahin gefu&#x0364;hrt, daß die Phi¬<lb/>
lo&#x017F;ophie den alten Kreislauf dennoch wiederholt. Die<lb/>
Schule Schelling's i&#x017F;t nach den beiden in ihr liegen¬<lb/>
den Potenzen wieder in zwei ein&#x017F;eitige Haupt&#x017F;y&#x017F;teme<lb/>
zerfallen. Oken hat den materiellen Pol vorwiegen<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en und die Identita&#x0364;t des Gei&#x017F;tes mit der Natur<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[167/0177] dualiſtiſchen Identitaͤtslehre. Geiſt und Natur ſind ihm zugleich nur Emanationen, Erſcheinungen, Äuße¬ rungen und Evolutionen der goͤttlichen Idee. Er pa¬ ralleliſirt daher auch das Syſtem des Idealismus und Materialismus und neutraliſirt die Extreme. Dies iſt Spinozismus, aber in hoͤherer Potenz. Nur nach Kant und Fichte konnte Spinoza's Verſprechen er¬ fuͤllt werden. Es bedurfte jedoch eines gleich großen Geiſtes, Schelling vor Kant, oder Spinoza nach Kant zu ſeyn. Die Identitaͤtslehre hat vor jeder an¬ dern Philoſophie augenſcheinliche Vorzuͤge. Der Eklek¬ tiker, der die Reihe der Syſteme muſtert, findet hier die Vermittelung der Extreme. Er bemerkt, daß jede Philoſophie die andre ausſchließt, hier findet er ſie mit einander verbunden. Der Mathematiker, der die geſammte Philoſophie als eine Sphaͤre betrachtet, fin¬ det in Schelling's Princip den magnetiſchen Mittel¬ punkt, der die entgegengeſetzten Pole der Subjects- und Objectslehre, der Geiſtes- und Naturphiloſophie zugleich ſpannt und bindet. Der Schematismus die¬ ſer Philoſophie erſcheint alſo als der vollkommenſte, den wir bis jetzt kennen. Die Ausfuͤhrung iſt aber den Bedingungen der menſchlichen Unvollkommenheit unterworfen. Dies hat dahin gefuͤhrt, daß die Phi¬ loſophie den alten Kreislauf dennoch wiederholt. Die Schule Schelling's iſt nach den beiden in ihr liegen¬ den Potenzen wieder in zwei einſeitige Hauptſyſteme zerfallen. Oken hat den materiellen Pol vorwiegen laſſen und die Identitaͤt des Geiſtes mit der Natur

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/177
Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/177>, abgerufen am 27.11.2024.