sich sogar verfolgt, nur ein freier innerer Drang kann dazu bestimmen.
Der Pietismus findet am meisten Anhang unter den niedern Klassen der Gesellschaft, theils weil diese minder verdorben sind als die höhern, theils weil sie nicht so sehr in den Genüssen der Erde schwelgen, um den Himmel darüber zu vergessen. Da, wo das feine Gift der Unsittlichkeit und die hochmüthige Welt¬ klugheit noch nicht so tief eingedrungen, ist das Ge¬ müth noch frisch und stark, der höchsten und längsten Entzückung fähig. Und da, wo äußerlich Noth und Mangel, Verachtung und Unfreiheit herrschen, sucht der Mensch sich gern die innerliche Freiheit, das in¬ nerliche Glück. Es sucht den Himmel, wem die Erde nichts bietet. Und sollen wir die innere lebendige Wärme, welche die großen Massen des Volks im Pie¬ tismus ergriffen und sie freundlich schirmt gegen den Frost des Lebens, sollen wir den blühenden Sinn für Liebe, der in die kleine Gesellschaft flüchtet, weil ihn die große zurückstößt, sollen wir die innre Erhe¬ bung mißbilligen und verdammen, die den Frommen den letzten Rest von menschlicher Würde sichert, wenn Niedrigkeit, Armuth und Laster sich verbunden, sie niederzutreten. Es ist der niedrigste Stand, es sind die Armen, welche die Massen der pietistischen Ge¬ sellschaften bilden. Ist es nicht ein schöner Zug die¬ ses Volks, daß es in der eignen Brust den Stern findet, der ihm in der Nacht des Lebens leuchtet? Ist diese verachtete Frömmigkeit nicht die einzige Schutz¬
ſich ſogar verfolgt, nur ein freier innerer Drang kann dazu beſtimmen.
Der Pietismus findet am meiſten Anhang unter den niedern Klaſſen der Geſellſchaft, theils weil dieſe minder verdorben ſind als die hoͤhern, theils weil ſie nicht ſo ſehr in den Genuͤſſen der Erde ſchwelgen, um den Himmel daruͤber zu vergeſſen. Da, wo das feine Gift der Unſittlichkeit und die hochmuͤthige Welt¬ klugheit noch nicht ſo tief eingedrungen, iſt das Ge¬ muͤth noch friſch und ſtark, der hoͤchſten und laͤngſten Entzuͤckung faͤhig. Und da, wo aͤußerlich Noth und Mangel, Verachtung und Unfreiheit herrſchen, ſucht der Menſch ſich gern die innerliche Freiheit, das in¬ nerliche Gluͤck. Es ſucht den Himmel, wem die Erde nichts bietet. Und ſollen wir die innere lebendige Waͤrme, welche die großen Maſſen des Volks im Pie¬ tismus ergriffen und ſie freundlich ſchirmt gegen den Froſt des Lebens, ſollen wir den bluͤhenden Sinn fuͤr Liebe, der in die kleine Geſellſchaft fluͤchtet, weil ihn die große zuruͤckſtoͤßt, ſollen wir die innre Erhe¬ bung mißbilligen und verdammen, die den Frommen den letzten Reſt von menſchlicher Wuͤrde ſichert, wenn Niedrigkeit, Armuth und Laſter ſich verbunden, ſie niederzutreten. Es iſt der niedrigſte Stand, es ſind die Armen, welche die Maſſen der pietiſtiſchen Ge¬ ſellſchaften bilden. Iſt es nicht ein ſchoͤner Zug die¬ ſes Volks, daß es in der eignen Bruſt den Stern findet, der ihm in der Nacht des Lebens leuchtet? Iſt dieſe verachtete Froͤmmigkeit nicht die einzige Schutz¬
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ſich ſogar verfolgt, nur ein freier innerer Drang
kann dazu beſtimmen.
Der Pietismus findet am meiſten Anhang unter
den niedern Klaſſen der Geſellſchaft, theils weil dieſe
minder verdorben ſind als die hoͤhern, theils weil ſie
nicht ſo ſehr in den Genuͤſſen der Erde ſchwelgen,
um den Himmel daruͤber zu vergeſſen. Da, wo das
feine Gift der Unſittlichkeit und die hochmuͤthige Welt¬
klugheit noch nicht ſo tief eingedrungen, iſt das Ge¬
muͤth noch friſch und ſtark, der hoͤchſten und laͤngſten
Entzuͤckung faͤhig. Und da, wo aͤußerlich Noth und
Mangel, Verachtung und Unfreiheit herrſchen, ſucht
der Menſch ſich gern die innerliche Freiheit, das in¬
nerliche Gluͤck. Es ſucht den Himmel, wem die Erde
nichts bietet. Und ſollen wir die innere lebendige
Waͤrme, welche die großen Maſſen des Volks im Pie¬
tismus ergriffen und ſie freundlich ſchirmt gegen den
Froſt des Lebens, ſollen wir den bluͤhenden Sinn
fuͤr Liebe, der in die kleine Geſellſchaft fluͤchtet, weil
ihn die große zuruͤckſtoͤßt, ſollen wir die innre Erhe¬
bung mißbilligen und verdammen, die den Frommen
den letzten Reſt von menſchlicher Wuͤrde ſichert, wenn
Niedrigkeit, Armuth und Laſter ſich verbunden, ſie
niederzutreten. Es iſt der niedrigſte Stand, es ſind
die Armen, welche die Maſſen der pietiſtiſchen Ge¬
ſellſchaften bilden. Iſt es nicht ein ſchoͤner Zug die¬
ſes Volks, daß es in der eignen Bruſt den Stern
findet, der ihm in der Nacht des Lebens leuchtet?
Iſt dieſe verachtete Froͤmmigkeit nicht die einzige Schutz¬
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/163>, abgerufen am 17.07.2024.
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