und hier allein dürfen wir die einzige wahre Contre¬ revolution gegen unser revolutionirendes Zeitalter su¬ chen. Nur im Pietismus geht der Mensch rückwärts bis zu jener innersten und tiefsten Quelle geistiger Verjüngung, aus der ein neuer Strom des Lebens bricht, wenn der alte versiegt ist. Alle andere Rich¬ tungen unsrer Zeit bewegen sich mehr nur auf der Oberfläche wider und durch einander.
Wie der Protestantismus den Übergang vom Sinn¬ lichen zum Verstande, so bezeichnet der Pietismus den Übergang vom Verstande zum Gemüth. Ist aber die¬ ser Kreislauf vollendet, hat Vorstellung, Begriff und Gefühl, jedes in einseitiger Herrschaft sich durchge¬ bildet, so werden sie in harmonischer Durchdringung von Neuem die Idee gebären. Der Pietismus wird einst den Übergang zu einer neuen, die ganze gebil¬ dete Welt beherrschenden Mystik führen.
Der Pietismus muß nothwendig drei Crisen er¬ leben, und wir befinden uns noch in der ersten. Er muß anfangs noch an den Protestantismus gebunden, noch von dessen Einfluß beherrscht erscheinen, weil er von kleinem Anfang beginnend nur mühsam sein Da¬ seyn unter Beibehaltung der alten Formen fristet. Zugleich ist diese Periode die politische und weltliche, und der Pietismus wird nicht nur durch die herr¬ schenden Kirchen, sondern auch durch den Zeitgeist niedergedrückt. In einer zweiten Crisis aber wird er über beide herrschend werden, und in das Extrem der Einseitigkeit fallen. In der dritten endlich wird er
7 *
und hier allein duͤrfen wir die einzige wahre Contre¬ revolution gegen unſer revolutionirendes Zeitalter ſu¬ chen. Nur im Pietismus geht der Menſch ruͤckwaͤrts bis zu jener innerſten und tiefſten Quelle geiſtiger Verjuͤngung, aus der ein neuer Strom des Lebens bricht, wenn der alte verſiegt iſt. Alle andere Rich¬ tungen unſrer Zeit bewegen ſich mehr nur auf der Oberflaͤche wider und durch einander.
Wie der Proteſtantismus den Übergang vom Sinn¬ lichen zum Verſtande, ſo bezeichnet der Pietismus den Übergang vom Verſtande zum Gemuͤth. Iſt aber die¬ ſer Kreislauf vollendet, hat Vorſtellung, Begriff und Gefuͤhl, jedes in einſeitiger Herrſchaft ſich durchge¬ bildet, ſo werden ſie in harmoniſcher Durchdringung von Neuem die Idee gebaͤren. Der Pietismus wird einſt den Übergang zu einer neuen, die ganze gebil¬ dete Welt beherrſchenden Myſtik fuͤhren.
Der Pietismus muß nothwendig drei Criſen er¬ leben, und wir befinden uns noch in der erſten. Er muß anfangs noch an den Proteſtantismus gebunden, noch von deſſen Einfluß beherrſcht erſcheinen, weil er von kleinem Anfang beginnend nur muͤhſam ſein Da¬ ſeyn unter Beibehaltung der alten Formen friſtet. Zugleich iſt dieſe Periode die politiſche und weltliche, und der Pietismus wird nicht nur durch die herr¬ ſchenden Kirchen, ſondern auch durch den Zeitgeiſt niedergedruͤckt. In einer zweiten Criſis aber wird er uͤber beide herrſchend werden, und in das Extrem der Einſeitigkeit fallen. In der dritten endlich wird er
7 *
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0157"n="147"/>
und hier allein duͤrfen wir die einzige wahre Contre¬<lb/>
revolution gegen unſer revolutionirendes Zeitalter ſu¬<lb/>
chen. Nur im Pietismus geht der Menſch ruͤckwaͤrts<lb/>
bis zu jener innerſten und tiefſten Quelle geiſtiger<lb/>
Verjuͤngung, aus der ein neuer Strom des Lebens<lb/>
bricht, wenn der alte verſiegt iſt. Alle andere Rich¬<lb/>
tungen unſrer Zeit bewegen ſich mehr nur auf der<lb/>
Oberflaͤche wider und durch einander.</p><lb/><p>Wie der Proteſtantismus den Übergang vom Sinn¬<lb/>
lichen zum Verſtande, ſo bezeichnet der Pietismus den<lb/>
Übergang vom Verſtande zum Gemuͤth. Iſt aber die¬<lb/>ſer Kreislauf vollendet, hat Vorſtellung, Begriff und<lb/>
Gefuͤhl, jedes in einſeitiger Herrſchaft ſich durchge¬<lb/>
bildet, ſo werden ſie in harmoniſcher Durchdringung<lb/>
von Neuem die Idee gebaͤren. Der Pietismus wird<lb/>
einſt den Übergang zu einer neuen, die ganze gebil¬<lb/>
dete Welt beherrſchenden Myſtik fuͤhren.</p><lb/><p>Der Pietismus muß nothwendig drei Criſen er¬<lb/>
leben, und wir befinden uns noch in der erſten. Er<lb/>
muß anfangs noch an den Proteſtantismus gebunden,<lb/>
noch von deſſen Einfluß beherrſcht erſcheinen, weil er<lb/>
von kleinem Anfang beginnend nur muͤhſam ſein Da¬<lb/>ſeyn unter Beibehaltung der alten Formen friſtet.<lb/>
Zugleich iſt dieſe Periode die politiſche und weltliche,<lb/>
und der Pietismus wird nicht nur durch die herr¬<lb/>ſchenden Kirchen, ſondern auch durch den Zeitgeiſt<lb/>
niedergedruͤckt. In einer zweiten Criſis aber wird er<lb/>
uͤber beide herrſchend werden, und in das Extrem<lb/>
der Einſeitigkeit fallen. In der dritten endlich wird er<lb/><fwplace="bottom"type="sig">7 *<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[147/0157]
und hier allein duͤrfen wir die einzige wahre Contre¬
revolution gegen unſer revolutionirendes Zeitalter ſu¬
chen. Nur im Pietismus geht der Menſch ruͤckwaͤrts
bis zu jener innerſten und tiefſten Quelle geiſtiger
Verjuͤngung, aus der ein neuer Strom des Lebens
bricht, wenn der alte verſiegt iſt. Alle andere Rich¬
tungen unſrer Zeit bewegen ſich mehr nur auf der
Oberflaͤche wider und durch einander.
Wie der Proteſtantismus den Übergang vom Sinn¬
lichen zum Verſtande, ſo bezeichnet der Pietismus den
Übergang vom Verſtande zum Gemuͤth. Iſt aber die¬
ſer Kreislauf vollendet, hat Vorſtellung, Begriff und
Gefuͤhl, jedes in einſeitiger Herrſchaft ſich durchge¬
bildet, ſo werden ſie in harmoniſcher Durchdringung
von Neuem die Idee gebaͤren. Der Pietismus wird
einſt den Übergang zu einer neuen, die ganze gebil¬
dete Welt beherrſchenden Myſtik fuͤhren.
Der Pietismus muß nothwendig drei Criſen er¬
leben, und wir befinden uns noch in der erſten. Er
muß anfangs noch an den Proteſtantismus gebunden,
noch von deſſen Einfluß beherrſcht erſcheinen, weil er
von kleinem Anfang beginnend nur muͤhſam ſein Da¬
ſeyn unter Beibehaltung der alten Formen friſtet.
Zugleich iſt dieſe Periode die politiſche und weltliche,
und der Pietismus wird nicht nur durch die herr¬
ſchenden Kirchen, ſondern auch durch den Zeitgeiſt
niedergedruͤckt. In einer zweiten Criſis aber wird er
uͤber beide herrſchend werden, und in das Extrem
der Einſeitigkeit fallen. In der dritten endlich wird er
7 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/157>, abgerufen am 17.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.