und Rücksicht gegen fremde Wünsche, als aus Zwang seinen Glauben, selbst nicht in den kleinsten Dingen ändern, die Worte, die Handlungen wohl, aber nicht den Glauben, den Schein wohl, aber nicht das We¬ sen. Eine Kirche, die man versuchsweise auf diesen indifferenten, geschmeidigen, allem sich fügenden gu¬ ten Willen, auf eine gewisse religiöse Höflichkeit bauen wollte, würde wahrlich auf weit schwächern Füßen stehn, als eine verhaßte, nur erheuchelte, die offene Gewalt und Zwang gegründet.
Der Pietismus ist die letzte und vielleicht die wichtigste Erscheinung, die wir im religiösen Gebiet zu betrachten haben. Wir sehn ihn ahnungsvoll in der Literatur wie im Leben immer weiter um sich greifen, und scharfen Blicken ist es nicht entgangen, daß er nichts mehr Vereinzeltes und Vorübergehendes ist, wie früher, daß er nicht blos zu den religiösen Curiositäten, zu den seltenen Mißgeburten einer ge¬ wissen vergänglichen Crisis gehört, sondern daß er einen großen, wenn auch keineswegs äußerlichen, aber innerlichen Zusammenhang hat und die Keime zu großen Entwickelungen in sich trägt. Unscheinbar und geräuschlos nach seiner Art, schlägt er seine Wurzeln desto mehr in die Tiefe. Gerade diese Be¬ seelung nach innen ist es, die ihm im Gegensatz ge¬ gen alles andere nach außen gerichtete Treiben der gegenwärtigen Zeit eine so große Bedeutung gibt. Hier erkennen wir eine Richtung, die im Wider¬ spruch mit allen andern Richtungen unserer Zeit steht,
und Ruͤckſicht gegen fremde Wuͤnſche, als aus Zwang ſeinen Glauben, ſelbſt nicht in den kleinſten Dingen aͤndern, die Worte, die Handlungen wohl, aber nicht den Glauben, den Schein wohl, aber nicht das We¬ ſen. Eine Kirche, die man verſuchsweiſe auf dieſen indifferenten, geſchmeidigen, allem ſich fuͤgenden gu¬ ten Willen, auf eine gewiſſe religioͤſe Hoͤflichkeit bauen wollte, wuͤrde wahrlich auf weit ſchwaͤchern Fuͤßen ſtehn, als eine verhaßte, nur erheuchelte, die offene Gewalt und Zwang gegruͤndet.
Der Pietismus iſt die letzte und vielleicht die wichtigſte Erſcheinung, die wir im religioͤſen Gebiet zu betrachten haben. Wir ſehn ihn ahnungsvoll in der Literatur wie im Leben immer weiter um ſich greifen, und ſcharfen Blicken iſt es nicht entgangen, daß er nichts mehr Vereinzeltes und Voruͤbergehendes iſt, wie fruͤher, daß er nicht blos zu den religioͤſen Curioſitaͤten, zu den ſeltenen Mißgeburten einer ge¬ wiſſen vergaͤnglichen Criſis gehoͤrt, ſondern daß er einen großen, wenn auch keineswegs aͤußerlichen, aber innerlichen Zuſammenhang hat und die Keime zu großen Entwickelungen in ſich traͤgt. Unſcheinbar und geraͤuſchlos nach ſeiner Art, ſchlaͤgt er ſeine Wurzeln deſto mehr in die Tiefe. Gerade dieſe Be¬ ſeelung nach innen iſt es, die ihm im Gegenſatz ge¬ gen alles andere nach außen gerichtete Treiben der gegenwaͤrtigen Zeit eine ſo große Bedeutung gibt. Hier erkennen wir eine Richtung, die im Wider¬ ſpruch mit allen andern Richtungen unſerer Zeit ſteht,
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und Ruͤckſicht gegen fremde Wuͤnſche, als aus Zwang
ſeinen Glauben, ſelbſt nicht in den kleinſten Dingen
aͤndern, die Worte, die Handlungen wohl, aber nicht
den Glauben, den Schein wohl, aber nicht das We¬
ſen. Eine Kirche, die man verſuchsweiſe auf dieſen
indifferenten, geſchmeidigen, allem ſich fuͤgenden gu¬
ten Willen, auf eine gewiſſe religioͤſe Hoͤflichkeit bauen
wollte, wuͤrde wahrlich auf weit ſchwaͤchern Fuͤßen
ſtehn, als eine verhaßte, nur erheuchelte, die offene
Gewalt und Zwang gegruͤndet.
Der Pietismus iſt die letzte und vielleicht die
wichtigſte Erſcheinung, die wir im religioͤſen Gebiet
zu betrachten haben. Wir ſehn ihn ahnungsvoll in
der Literatur wie im Leben immer weiter um ſich
greifen, und ſcharfen Blicken iſt es nicht entgangen,
daß er nichts mehr Vereinzeltes und Voruͤbergehendes
iſt, wie fruͤher, daß er nicht blos zu den religioͤſen
Curioſitaͤten, zu den ſeltenen Mißgeburten einer ge¬
wiſſen vergaͤnglichen Criſis gehoͤrt, ſondern daß er
einen großen, wenn auch keineswegs aͤußerlichen,
aber innerlichen Zuſammenhang hat und die Keime
zu großen Entwickelungen in ſich traͤgt. Unſcheinbar
und geraͤuſchlos nach ſeiner Art, ſchlaͤgt er ſeine
Wurzeln deſto mehr in die Tiefe. Gerade dieſe Be¬
ſeelung nach innen iſt es, die ihm im Gegenſatz ge¬
gen alles andere nach außen gerichtete Treiben der
gegenwaͤrtigen Zeit eine ſo große Bedeutung gibt.
Hier erkennen wir eine Richtung, die im Wider¬
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/156>, abgerufen am 17.07.2024.
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