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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

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Mann wird in Deutschland eben so oft ein Schrift¬
steller, und so selten ein Staatsmann, als in Eng¬
land und Frankreich das Umgekehrte Statt findet.
Wo man nicht gesehen, nicht gehört werden kann,
wird man doch gelesen.

Was der Deutsche denkt, ist aber auch gewöhn¬
lich von der Art, daß es besser gelesen, als gehört
oder gethan wird. Was die stille Stunde dem ein¬
samen Denker und Dichter gebiert, erfordert auch
wieder den stillen sinnigen Leser.

Sey es nun, daß ein feindseliger Gott unser
Augenlied hütet und mit dem eisernen Schlaf uns
wie den Prometheus fesselt, um uns zu züchtigen,
weil wir Menschen gebildet, und daß die propheti¬
schen Träume der letzte Rest von Thätigkeit sind,
die uns selbst ein Gott nicht rauben kann; oder wir
selber weben aus eigner Neigung, aus einem Triebe,
wie ihn die Natur in die Raupe gelegt, das dunkle
Gespinst um uns, um in geheimnißvoller Schöpfungs¬
nacht die schönen Psycheschwingen zu entfalten; seyen
wir gezwungen, uns über den Mangel an Wirklich¬
keit mit Träumen zu trösten, oder reißt uns ein in¬
wohnender Genius über die Schranken auch der
schönsten Wirklichkeit in noch höhere Regionen der
Ideale fort, immerhin müssen wir jener wuchernden
Literatur, jener abenteuerlichen Papierwelt eine hohe
Bedeutung für den Charakter der Nation und dieser
Zeit zuerkennen.

In den ausgesprochnen Ansichten aber, davon

Mann wird in Deutſchland eben ſo oft ein Schrift¬
ſteller, und ſo ſelten ein Staatsmann, als in Eng¬
land und Frankreich das Umgekehrte Statt findet.
Wo man nicht geſehen, nicht gehoͤrt werden kann,
wird man doch geleſen.

Was der Deutſche denkt, iſt aber auch gewoͤhn¬
lich von der Art, daß es beſſer geleſen, als gehoͤrt
oder gethan wird. Was die ſtille Stunde dem ein¬
ſamen Denker und Dichter gebiert, erfordert auch
wieder den ſtillen ſinnigen Leſer.

Sey es nun, daß ein feindſeliger Gott unſer
Augenlied huͤtet und mit dem eiſernen Schlaf uns
wie den Prometheus feſſelt, um uns zu zuͤchtigen,
weil wir Menſchen gebildet, und daß die propheti¬
ſchen Traͤume der letzte Reſt von Thaͤtigkeit ſind,
die uns ſelbſt ein Gott nicht rauben kann; oder wir
ſelber weben aus eigner Neigung, aus einem Triebe,
wie ihn die Natur in die Raupe gelegt, das dunkle
Geſpinſt um uns, um in geheimnißvoller Schoͤpfungs¬
nacht die ſchoͤnen Pſycheſchwingen zu entfalten; ſeyen
wir gezwungen, uns uͤber den Mangel an Wirklich¬
keit mit Traͤumen zu troͤſten, oder reißt uns ein in¬
wohnender Genius uͤber die Schranken auch der
ſchoͤnſten Wirklichkeit in noch hoͤhere Regionen der
Ideale fort, immerhin muͤſſen wir jener wuchernden
Literatur, jener abenteuerlichen Papierwelt eine hohe
Bedeutung fuͤr den Charakter der Nation und dieſer
Zeit zuerkennen.

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[5/0015] Mann wird in Deutſchland eben ſo oft ein Schrift¬ ſteller, und ſo ſelten ein Staatsmann, als in Eng¬ land und Frankreich das Umgekehrte Statt findet. Wo man nicht geſehen, nicht gehoͤrt werden kann, wird man doch geleſen. Was der Deutſche denkt, iſt aber auch gewoͤhn¬ lich von der Art, daß es beſſer geleſen, als gehoͤrt oder gethan wird. Was die ſtille Stunde dem ein¬ ſamen Denker und Dichter gebiert, erfordert auch wieder den ſtillen ſinnigen Leſer. Sey es nun, daß ein feindſeliger Gott unſer Augenlied huͤtet und mit dem eiſernen Schlaf uns wie den Prometheus feſſelt, um uns zu zuͤchtigen, weil wir Menſchen gebildet, und daß die propheti¬ ſchen Traͤume der letzte Reſt von Thaͤtigkeit ſind, die uns ſelbſt ein Gott nicht rauben kann; oder wir ſelber weben aus eigner Neigung, aus einem Triebe, wie ihn die Natur in die Raupe gelegt, das dunkle Geſpinſt um uns, um in geheimnißvoller Schoͤpfungs¬ nacht die ſchoͤnen Pſycheſchwingen zu entfalten; ſeyen wir gezwungen, uns uͤber den Mangel an Wirklich¬ keit mit Traͤumen zu troͤſten, oder reißt uns ein in¬ wohnender Genius uͤber die Schranken auch der ſchoͤnſten Wirklichkeit in noch hoͤhere Regionen der Ideale fort, immerhin muͤſſen wir jener wuchernden Literatur, jener abenteuerlichen Papierwelt eine hohe Bedeutung fuͤr den Charakter der Nation und dieſer Zeit zuerkennen. In den ausgeſprochnen Anſichten aber, davon

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/15>, abgerufen am 27.11.2024.