Bemerkung sehr treffend und wahr. Eine große Menge Menschen kann die Unterrichtsbücher, die ih¬ nen in der Schule so viele Thränen und lange Weile gekostet, auch im Alter und selbst bei der Überzeu¬ gung, daß sie ihr nothwendig gewesen seyen, nicht ohne einen geheimen Widerwillen ansehn. Dieses Spiel der Phantasie, das mit den heiligsten und werthvollsten Gegenständen die Nebenbegriffe des Zucht¬ meisters mit der Ruthe verbinden muß, hat den In¬ differentismus mehr als man denken sollte, befördert. Das handwerksmäßige, ja zuchtmäßige Abrichten in der unreifen Jugend ertödtet oft den Sinn, den es wecken und bilden will.
Man hat in den neuesten Zeiten das Schädliche, und den Katholiken gegenüber besonders auch das Schimpfliche des Indifferentismus bei den Protestan¬ ten wohl gefühlt und es sich angelegen seyn lassen, demselben aus allen Kräften entgegen zu arbeiten. Demnach ist die religiöse Controverse nicht nur frei¬ gelassen, sondern sogar begünstigt worden, und die¬ selbe Censur, die in politischen Dingen wie ein Ar¬ gus wacht, hat alle ihre hundert Augen für die reli¬ giösen zugeschlossen. Da indeß der Eifer der religiö¬ sen Doctrinairs die indifferente Masse des Publi¬ kums nicht zu erhitzen vermocht hat, da die innern Reizmittel nichts verschlagen haben, so ist man zu äußern übergegangen, und hat das verhallende Wort durch consistentere Werke zu stützen gesucht. Diese neuen äußeren Werke sind theils die Union zwischen
Bemerkung ſehr treffend und wahr. Eine große Menge Menſchen kann die Unterrichtsbuͤcher, die ih¬ nen in der Schule ſo viele Thraͤnen und lange Weile gekoſtet, auch im Alter und ſelbſt bei der Überzeu¬ gung, daß ſie ihr nothwendig geweſen ſeyen, nicht ohne einen geheimen Widerwillen anſehn. Dieſes Spiel der Phantaſie, das mit den heiligſten und werthvollſten Gegenſtaͤnden die Nebenbegriffe des Zucht¬ meiſters mit der Ruthe verbinden muß, hat den In¬ differentismus mehr als man denken ſollte, befoͤrdert. Das handwerksmaͤßige, ja zuchtmaͤßige Abrichten in der unreifen Jugend ertoͤdtet oft den Sinn, den es wecken und bilden will.
Man hat in den neueſten Zeiten das Schaͤdliche, und den Katholiken gegenuͤber beſonders auch das Schimpfliche des Indifferentismus bei den Proteſtan¬ ten wohl gefuͤhlt und es ſich angelegen ſeyn laſſen, demſelben aus allen Kraͤften entgegen zu arbeiten. Demnach iſt die religioͤſe Controverſe nicht nur frei¬ gelaſſen, ſondern ſogar beguͤnſtigt worden, und die¬ ſelbe Cenſur, die in politiſchen Dingen wie ein Ar¬ gus wacht, hat alle ihre hundert Augen fuͤr die reli¬ gioͤſen zugeſchloſſen. Da indeß der Eifer der religioͤ¬ ſen Doctrinairs die indifferente Maſſe des Publi¬ kums nicht zu erhitzen vermocht hat, da die innern Reizmittel nichts verſchlagen haben, ſo iſt man zu aͤußern uͤbergegangen, und hat das verhallende Wort durch conſiſtentere Werke zu ſtuͤtzen geſucht. Dieſe neuen aͤußeren Werke ſind theils die Union zwiſchen
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Bemerkung ſehr treffend und wahr. Eine große
Menge Menſchen kann die Unterrichtsbuͤcher, die ih¬
nen in der Schule ſo viele Thraͤnen und lange Weile
gekoſtet, auch im Alter und ſelbſt bei der Überzeu¬
gung, daß ſie ihr nothwendig geweſen ſeyen, nicht
ohne einen geheimen Widerwillen anſehn. Dieſes
Spiel der Phantaſie, das mit den heiligſten und
werthvollſten Gegenſtaͤnden die Nebenbegriffe des Zucht¬
meiſters mit der Ruthe verbinden muß, hat den In¬
differentismus mehr als man denken ſollte, befoͤrdert.
Das handwerksmaͤßige, ja zuchtmaͤßige Abrichten in
der unreifen Jugend ertoͤdtet oft den Sinn, den es
wecken und bilden will.
Man hat in den neueſten Zeiten das Schaͤdliche,
und den Katholiken gegenuͤber beſonders auch das
Schimpfliche des Indifferentismus bei den Proteſtan¬
ten wohl gefuͤhlt und es ſich angelegen ſeyn laſſen,
demſelben aus allen Kraͤften entgegen zu arbeiten.
Demnach iſt die religioͤſe Controverſe nicht nur frei¬
gelaſſen, ſondern ſogar beguͤnſtigt worden, und die¬
ſelbe Cenſur, die in politiſchen Dingen wie ein Ar¬
gus wacht, hat alle ihre hundert Augen fuͤr die reli¬
gioͤſen zugeſchloſſen. Da indeß der Eifer der religioͤ¬
ſen Doctrinairs die indifferente Maſſe des Publi¬
kums nicht zu erhitzen vermocht hat, da die innern
Reizmittel nichts verſchlagen haben, ſo iſt man zu
aͤußern uͤbergegangen, und hat das verhallende Wort
durch conſiſtentere Werke zu ſtuͤtzen geſucht. Dieſe
neuen aͤußeren Werke ſind theils die Union zwiſchen
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/149>, abgerufen am 17.02.2025.
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