Wie schleicht dieß matte, süßliche Gift einschläfernd in die Seelen und schmilzt Herzen und Nieren in einen weichen Brei. Eine gleißnerische Sprache fließt wie Honig von den Lippen; der Priester legt den Stolz, den ersten Chorrock, ab und wird der liebe, freundliche Hausfreund, und drückt so warm die Hand; die eiserne Moral schmiegt sich biegsam wie ein Blankscheit an zarte Busen; die Andacht wird zum schwarzen Trauergewand, das so reizend den Teint hebt; die Begeisterung wird als Roth aufgelegt. Wie brauchbar scheint euch diese Schminke, diese elende Flachmalerei einer verschmitzten Tugend und koketten Gottesfurcht, die es sagt, wie viel sie heimlich Gu¬ tes thut, und nicht aufs Knie fällt, ohne den Rock in die nettesten Falten zu legen. Wie höflich ist Re¬ ligion, die alte Zuchtmeisterin, geworden, wie artig und ohne sich zu compromittiren, kann man jetzt das eckige, strenge, gothische Wesen verbannen und zu der kleinen wohlfeilen Hauskapelle flüchten; wie zeit¬ gemäß, welch ein längst gefühltes Bedürfniß des ge¬ bildeten Jahrhunderts ist ein Buch, das für uns be¬ tet, für uns gute Vorsätze hat, für uns empfindet, und das wir blos zu lesen brauchen. Wird in die¬ ser Weise fortgefahren, so scheint der Zeitpunkt nicht mehr fern, da das wahrhaft religiöse Leben, die fromme Andacht, die Begeisterung der Liebe, Ehre und Gerechtigkeit, der Sporn zur That aus dem Ge¬ rüst leerer, glatter Worte eben so entweichen, wie sie dereinst den todten äußern Werken des Katholi¬
Wie ſchleicht dieß matte, ſuͤßliche Gift einſchlaͤfernd in die Seelen und ſchmilzt Herzen und Nieren in einen weichen Brei. Eine gleißneriſche Sprache fließt wie Honig von den Lippen; der Prieſter legt den Stolz, den erſten Chorrock, ab und wird der liebe, freundliche Hausfreund, und druͤckt ſo warm die Hand; die eiſerne Moral ſchmiegt ſich biegſam wie ein Blankſcheit an zarte Buſen; die Andacht wird zum ſchwarzen Trauergewand, das ſo reizend den Teint hebt; die Begeiſterung wird als Roth aufgelegt. Wie brauchbar ſcheint euch dieſe Schminke, dieſe elende Flachmalerei einer verſchmitzten Tugend und koketten Gottesfurcht, die es ſagt, wie viel ſie heimlich Gu¬ tes thut, und nicht aufs Knie faͤllt, ohne den Rock in die netteſten Falten zu legen. Wie hoͤflich iſt Re¬ ligion, die alte Zuchtmeiſterin, geworden, wie artig und ohne ſich zu compromittiren, kann man jetzt das eckige, ſtrenge, gothiſche Weſen verbannen und zu der kleinen wohlfeilen Hauskapelle fluͤchten; wie zeit¬ gemaͤß, welch ein laͤngſt gefuͤhltes Beduͤrfniß des ge¬ bildeten Jahrhunderts iſt ein Buch, das fuͤr uns be¬ tet, fuͤr uns gute Vorſaͤtze hat, fuͤr uns empfindet, und das wir blos zu leſen brauchen. Wird in die¬ ſer Weiſe fortgefahren, ſo ſcheint der Zeitpunkt nicht mehr fern, da das wahrhaft religioͤſe Leben, die fromme Andacht, die Begeiſterung der Liebe, Ehre und Gerechtigkeit, der Sporn zur That aus dem Ge¬ ruͤſt leerer, glatter Worte eben ſo entweichen, wie ſie dereinſt den todten aͤußern Werken des Katholi¬
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Wie ſchleicht dieß matte, ſuͤßliche Gift einſchlaͤfernd
in die Seelen und ſchmilzt Herzen und Nieren in
einen weichen Brei. Eine gleißneriſche Sprache fließt
wie Honig von den Lippen; der Prieſter legt den
Stolz, den erſten Chorrock, ab und wird der liebe,
freundliche Hausfreund, und druͤckt ſo warm die Hand;
die eiſerne Moral ſchmiegt ſich biegſam wie ein
Blankſcheit an zarte Buſen; die Andacht wird zum
ſchwarzen Trauergewand, das ſo reizend den Teint
hebt; die Begeiſterung wird als Roth aufgelegt. Wie
brauchbar ſcheint euch dieſe Schminke, dieſe elende
Flachmalerei einer verſchmitzten Tugend und koketten
Gottesfurcht, die es ſagt, wie viel ſie heimlich Gu¬
tes thut, und nicht aufs Knie faͤllt, ohne den Rock
in die netteſten Falten zu legen. Wie hoͤflich iſt Re¬
ligion, die alte Zuchtmeiſterin, geworden, wie artig
und ohne ſich zu compromittiren, kann man jetzt das
eckige, ſtrenge, gothiſche Weſen verbannen und zu
der kleinen wohlfeilen Hauskapelle fluͤchten; wie zeit¬
gemaͤß, welch ein laͤngſt gefuͤhltes Beduͤrfniß des ge¬
bildeten Jahrhunderts iſt ein Buch, das fuͤr uns be¬
tet, fuͤr uns gute Vorſaͤtze hat, fuͤr uns empfindet,
und das wir blos zu leſen brauchen. Wird in die¬
ſer Weiſe fortgefahren, ſo ſcheint der Zeitpunkt nicht
mehr fern, da das wahrhaft religioͤſe Leben, die
fromme Andacht, die Begeiſterung der Liebe, Ehre
und Gerechtigkeit, der Sporn zur That aus dem Ge¬
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ſie dereinſt den todten aͤußern Werken des Katholi¬
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/144>, abgerufen am 24.11.2024.
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