vorzurufen. Man ließ einseitig nur das Denken Got¬ tes gelten und verschmähte jede Vorstellung, jedes Gefühl des Göttlichen als Täuschung, ja das Wort selbst wurde mit Recht nur als ein Bild betrachtet, das an sich nichts und etwas nur durch den lebendi¬ gen Begriff sey, und das den freien Begriff nie fes¬ seln dürfe. Die Unterordnung des Wortes unter den Begriff war ohnstreitig ein großer Fortschritt, aber die Ausschließlichkeit eines Denkglaubens, die Ver¬ werfung der Vorstellung und des Gefühls war nur wieder die alte Einseitigkeit. Man verkannte die Na¬ tur des Denkens und schrieb der mittelbaren Erkennt¬ niß durch Schlüsse zu, was nur einer unmittelbaren Erkenntniß der gesammten sinnlichen und geistigen Organisation des Menschen, einem Gemeingefühl des Göttlichen zukommt. Glauben war nur noch mathe¬ matische Überzeugung. Man glaubte nur, was man beweisen konnte, wie das Ein mal Eins, und da man den Glauben aus dem Beweise ableiten wollte, der selbst nur aus dem Glauben geführt werden konnte, so mußte man in die seltsamsten Widersprüche und Trugschlüsse gerathen. Wenn nichts so segens¬ reich gewirkt hat, als die verständige Erkenntniß des frühern kirchlichen Verderbens, wenn auch das Den¬ ken Gottes, die Reflexion über die ewige Harmonie der Dinge der wahren Andacht niemals fehlen sollte, wenn auch gerade sie es ist, die uns die Bilder und Gefühle von Gott nicht vertilgt, aber reinigt, so ist doch auch kaum ein roher Götzendienst, kaum ein
vorzurufen. Man ließ einſeitig nur das Denken Got¬ tes gelten und verſchmaͤhte jede Vorſtellung, jedes Gefuͤhl des Goͤttlichen als Taͤuſchung, ja das Wort ſelbſt wurde mit Recht nur als ein Bild betrachtet, das an ſich nichts und etwas nur durch den lebendi¬ gen Begriff ſey, und das den freien Begriff nie feſ¬ ſeln duͤrfe. Die Unterordnung des Wortes unter den Begriff war ohnſtreitig ein großer Fortſchritt, aber die Ausſchließlichkeit eines Denkglaubens, die Ver¬ werfung der Vorſtellung und des Gefuͤhls war nur wieder die alte Einſeitigkeit. Man verkannte die Na¬ tur des Denkens und ſchrieb der mittelbaren Erkennt¬ niß durch Schluͤſſe zu, was nur einer unmittelbaren Erkenntniß der geſammten ſinnlichen und geiſtigen Organiſation des Menſchen, einem Gemeingefuͤhl des Goͤttlichen zukommt. Glauben war nur noch mathe¬ matiſche Überzeugung. Man glaubte nur, was man beweiſen konnte, wie das Ein mal Eins, und da man den Glauben aus dem Beweiſe ableiten wollte, der ſelbſt nur aus dem Glauben gefuͤhrt werden konnte, ſo mußte man in die ſeltſamſten Widerſpruͤche und Trugſchluͤſſe gerathen. Wenn nichts ſo ſegens¬ reich gewirkt hat, als die verſtaͤndige Erkenntniß des fruͤhern kirchlichen Verderbens, wenn auch das Den¬ ken Gottes, die Reflexion uͤber die ewige Harmonie der Dinge der wahren Andacht niemals fehlen ſollte, wenn auch gerade ſie es iſt, die uns die Bilder und Gefuͤhle von Gott nicht vertilgt, aber reinigt, ſo iſt doch auch kaum ein roher Goͤtzendienſt, kaum ein
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vorzurufen. Man ließ einſeitig nur das Denken Got¬
tes gelten und verſchmaͤhte jede Vorſtellung, jedes
Gefuͤhl des Goͤttlichen als Taͤuſchung, ja das Wort
ſelbſt wurde mit Recht nur als ein Bild betrachtet,
das an ſich nichts und etwas nur durch den lebendi¬
gen Begriff ſey, und das den freien Begriff nie feſ¬
ſeln duͤrfe. Die Unterordnung des Wortes unter den
Begriff war ohnſtreitig ein großer Fortſchritt, aber
die Ausſchließlichkeit eines Denkglaubens, die Ver¬
werfung der Vorſtellung und des Gefuͤhls war nur
wieder die alte Einſeitigkeit. Man verkannte die Na¬
tur des Denkens und ſchrieb der mittelbaren Erkennt¬
niß durch Schluͤſſe zu, was nur einer unmittelbaren
Erkenntniß der geſammten ſinnlichen und geiſtigen
Organiſation des Menſchen, einem Gemeingefuͤhl des
Goͤttlichen zukommt. Glauben war nur noch mathe¬
matiſche Überzeugung. Man glaubte nur, was man
beweiſen konnte, wie das Ein mal Eins, und da
man den Glauben aus dem Beweiſe ableiten wollte,
der ſelbſt nur aus dem Glauben gefuͤhrt werden
konnte, ſo mußte man in die ſeltſamſten Widerſpruͤche
und Trugſchluͤſſe gerathen. Wenn nichts ſo ſegens¬
reich gewirkt hat, als die verſtaͤndige Erkenntniß des
fruͤhern kirchlichen Verderbens, wenn auch das Den¬
ken Gottes, die Reflexion uͤber die ewige Harmonie
der Dinge der wahren Andacht niemals fehlen ſollte,
wenn auch gerade ſie es iſt, die uns die Bilder und
Gefuͤhle von Gott nicht vertilgt, aber reinigt, ſo iſt
doch auch kaum ein roher Goͤtzendienſt, kaum ein
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/139>, abgerufen am 24.11.2024.
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