gemacht, und hat der Zustand der Protestanten seit¬ her auch zuweilen einem frechen Libertinismus und einer gehässigen Sectirerei Raum gegeben, so hat die Freiheit, die er edlern Geistern vergönnt hat, doch auch die schönsten Früchte getragen.
Betrachten wir zuerst die Kritiker oder die Hel¬ den des Verstandes, unter denen ich nur den großen Namen Lessing nennen will, um sie charakteristisch genug zu bezeichnen. Sie sind die Engel, die mit dem scharfen blitzenden Flammenschwert der Denkkraft in das Paradies der Kirche gesendet sind, um die unwürdigen Bewohner auszutreiben. Einer Masse ge¬ genüber, die in roher Sinnlichkeit, in dumpfem Ge¬ fühl oder in blindem Autoritätsglauben entartet ist, einer Geschichte gegenüber, die auf jedem aufgeschla¬ genen Blatte nur beweist, wie weit wir noch zurück sind, welchen unendlichen Weg der Geist noch vor¬ aussieht, haben diese Männer eine Arbeit übernom¬ men, die des menschlichen Geistes eben so auf die höchste Weise würdig ist, als er die schwerste Auf¬ gabe für denselben seyn muß. Die Sinnlichkeit und der ganze historische Einfluß, das Gemüth und alle angeborne Schwächen der Menschen sind die Mächte, gegen deren Entartung und Verderbniß sie ankäm¬ pfen und der Verstand, das kleine Richtmaaß, ist das einzige Werkzeug, mit dem sie die Höhen und Tiefen des alten Felsen bewältigen wollen. Wenn die Art, wie die Denkkraft angewendet wird, auch selbst der Verderbniß unterworfen ist, so ist schon die
gemacht, und hat der Zuſtand der Proteſtanten ſeit¬ her auch zuweilen einem frechen Libertinismus und einer gehaͤſſigen Sectirerei Raum gegeben, ſo hat die Freiheit, die er edlern Geiſtern vergoͤnnt hat, doch auch die ſchoͤnſten Fruͤchte getragen.
Betrachten wir zuerſt die Kritiker oder die Hel¬ den des Verſtandes, unter denen ich nur den großen Namen Leſſing nennen will, um ſie charakteriſtiſch genug zu bezeichnen. Sie ſind die Engel, die mit dem ſcharfen blitzenden Flammenſchwert der Denkkraft in das Paradies der Kirche geſendet ſind, um die unwuͤrdigen Bewohner auszutreiben. Einer Maſſe ge¬ genuͤber, die in roher Sinnlichkeit, in dumpfem Ge¬ fuͤhl oder in blindem Autoritaͤtsglauben entartet iſt, einer Geſchichte gegenuͤber, die auf jedem aufgeſchla¬ genen Blatte nur beweist, wie weit wir noch zuruͤck ſind, welchen unendlichen Weg der Geiſt noch vor¬ ausſieht, haben dieſe Maͤnner eine Arbeit uͤbernom¬ men, die des menſchlichen Geiſtes eben ſo auf die hoͤchſte Weiſe wuͤrdig iſt, als er die ſchwerſte Auf¬ gabe fuͤr denſelben ſeyn muß. Die Sinnlichkeit und der ganze hiſtoriſche Einfluß, das Gemuͤth und alle angeborne Schwaͤchen der Menſchen ſind die Maͤchte, gegen deren Entartung und Verderbniß ſie ankaͤm¬ pfen und der Verſtand, das kleine Richtmaaß, iſt das einzige Werkzeug, mit dem ſie die Hoͤhen und Tiefen des alten Felſen bewaͤltigen wollen. Wenn die Art, wie die Denkkraft angewendet wird, auch ſelbſt der Verderbniß unterworfen iſt, ſo iſt ſchon die
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0135"n="125"/>
gemacht, und hat der Zuſtand der Proteſtanten ſeit¬<lb/>
her auch zuweilen einem frechen Libertinismus und<lb/>
einer gehaͤſſigen Sectirerei Raum gegeben, ſo hat die<lb/>
Freiheit, die er edlern Geiſtern vergoͤnnt hat, doch<lb/>
auch die ſchoͤnſten Fruͤchte getragen.</p><lb/><p>Betrachten wir zuerſt die Kritiker oder die Hel¬<lb/>
den des Verſtandes, unter denen ich nur den großen<lb/>
Namen Leſſing nennen will, um ſie charakteriſtiſch<lb/>
genug zu bezeichnen. Sie ſind die Engel, die mit<lb/>
dem ſcharfen blitzenden Flammenſchwert der Denkkraft<lb/>
in das Paradies der Kirche geſendet ſind, um die<lb/>
unwuͤrdigen Bewohner auszutreiben. Einer Maſſe ge¬<lb/>
genuͤber, die in roher Sinnlichkeit, in dumpfem Ge¬<lb/>
fuͤhl oder in blindem Autoritaͤtsglauben entartet iſt,<lb/>
einer Geſchichte gegenuͤber, die auf jedem aufgeſchla¬<lb/>
genen Blatte nur beweist, wie weit wir noch zuruͤck<lb/>ſind, welchen unendlichen Weg der Geiſt noch vor¬<lb/>
ausſieht, haben dieſe Maͤnner eine Arbeit uͤbernom¬<lb/>
men, die des menſchlichen Geiſtes eben ſo auf die<lb/>
hoͤchſte Weiſe wuͤrdig iſt, als er die ſchwerſte Auf¬<lb/>
gabe fuͤr denſelben ſeyn muß. Die Sinnlichkeit und<lb/>
der ganze hiſtoriſche Einfluß, das Gemuͤth und alle<lb/>
angeborne Schwaͤchen der Menſchen ſind die Maͤchte,<lb/>
gegen deren Entartung und Verderbniß ſie ankaͤm¬<lb/>
pfen und der Verſtand, das kleine Richtmaaß, iſt<lb/>
das einzige Werkzeug, mit dem ſie die Hoͤhen und<lb/>
Tiefen des alten Felſen bewaͤltigen wollen. Wenn<lb/>
die Art, wie die Denkkraft angewendet wird, auch<lb/>ſelbſt der Verderbniß unterworfen iſt, ſo iſt ſchon die<lb/></p></div></body></text></TEI>
[125/0135]
gemacht, und hat der Zuſtand der Proteſtanten ſeit¬
her auch zuweilen einem frechen Libertinismus und
einer gehaͤſſigen Sectirerei Raum gegeben, ſo hat die
Freiheit, die er edlern Geiſtern vergoͤnnt hat, doch
auch die ſchoͤnſten Fruͤchte getragen.
Betrachten wir zuerſt die Kritiker oder die Hel¬
den des Verſtandes, unter denen ich nur den großen
Namen Leſſing nennen will, um ſie charakteriſtiſch
genug zu bezeichnen. Sie ſind die Engel, die mit
dem ſcharfen blitzenden Flammenſchwert der Denkkraft
in das Paradies der Kirche geſendet ſind, um die
unwuͤrdigen Bewohner auszutreiben. Einer Maſſe ge¬
genuͤber, die in roher Sinnlichkeit, in dumpfem Ge¬
fuͤhl oder in blindem Autoritaͤtsglauben entartet iſt,
einer Geſchichte gegenuͤber, die auf jedem aufgeſchla¬
genen Blatte nur beweist, wie weit wir noch zuruͤck
ſind, welchen unendlichen Weg der Geiſt noch vor¬
ausſieht, haben dieſe Maͤnner eine Arbeit uͤbernom¬
men, die des menſchlichen Geiſtes eben ſo auf die
hoͤchſte Weiſe wuͤrdig iſt, als er die ſchwerſte Auf¬
gabe fuͤr denſelben ſeyn muß. Die Sinnlichkeit und
der ganze hiſtoriſche Einfluß, das Gemuͤth und alle
angeborne Schwaͤchen der Menſchen ſind die Maͤchte,
gegen deren Entartung und Verderbniß ſie ankaͤm¬
pfen und der Verſtand, das kleine Richtmaaß, iſt
das einzige Werkzeug, mit dem ſie die Hoͤhen und
Tiefen des alten Felſen bewaͤltigen wollen. Wenn
die Art, wie die Denkkraft angewendet wird, auch
ſelbſt der Verderbniß unterworfen iſt, ſo iſt ſchon die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/135>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.