Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.Verstandes aufhellen müsse, in der logischen Abwä¬ Die Schattenseite der philologischen Theologie Verſtandes aufhellen muͤſſe, in der logiſchen Abwaͤ¬ Die Schattenſeite der philologiſchen Theologie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0129" n="119"/> Verſtandes aufhellen muͤſſe, in der logiſchen Abwaͤ¬<lb/> gung der Pflichten das Trefflichſte geleiſtet, und wenn<lb/> man annehmen darf, daß der groͤßere Theil der ge¬<lb/> bildeten Welt nicht mehr fuͤr innere Erregungen, ſon¬<lb/> dern nur fuͤr aͤußre mathematiſche Beweiſe empfaͤng¬<lb/> lich iſt, ſo mag es ganz an der Zeit ſeyn, daß man<lb/> ihr die Tugend <hi rendition="#g">beweißt</hi>. Als ein beſondrer Vorzug<lb/> unſrer proteſtantiſchen Literatur muß ferner hervor¬<lb/> gehoben werden, daß ſie ungleich der katholiſchen ge¬<lb/> gen diſſentirende Schriften tolerant iſt, und ſtatt des<lb/> einzigen <hi rendition="#aq">catalogi librorum probibitorum</hi> lieber die<lb/> ganze Menge der abweichenden Buͤcher in ihren hiſto¬<lb/> riſchen Apparat einregiſtrirt und ſie der Vergeſſen¬<lb/> heit ſelbſt dann entzieht, wenn ſie keine Anhaͤnger<lb/> mehr haben. Dieſer Toleranz verdanken wir die Er¬<lb/> haltung vieler trefflicher Werke ſowohl von Theoſo¬<lb/> phen als von Freigeiſtern.</p><lb/> <p>Die Schattenſeite der philologiſchen Theologie<lb/> trifft auf gleiche Weiſe das Leben, wie die Literatur.<lb/> Was ſo oft den in Kloͤſtern erzogenen Prieſtern der<lb/> Katholiken vorgeworfen worden iſt, daß ſie an me¬<lb/> chaniſche aͤußere Werke gewoͤhnt, ohne Kenntniß des<lb/> Lebens und der Menſchen, nicht wuͤrdig zur Sorge<lb/> fuͤr die Seelen vorbereitet werden, kann man mit<lb/> gleichem Recht auch auf viele proteſtantiſche Prediger<lb/> anwenden, die in ihre Gemeinden treten und nur<lb/> Buͤcher, nicht die Menſchen kennen. In der Literatur<lb/> aber wird ohnſtreitig der uͤberwiegende Einfluß der<lb/> Philologie und Diplomatik dem Glauben ſelber nach¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [119/0129]
Verſtandes aufhellen muͤſſe, in der logiſchen Abwaͤ¬
gung der Pflichten das Trefflichſte geleiſtet, und wenn
man annehmen darf, daß der groͤßere Theil der ge¬
bildeten Welt nicht mehr fuͤr innere Erregungen, ſon¬
dern nur fuͤr aͤußre mathematiſche Beweiſe empfaͤng¬
lich iſt, ſo mag es ganz an der Zeit ſeyn, daß man
ihr die Tugend beweißt. Als ein beſondrer Vorzug
unſrer proteſtantiſchen Literatur muß ferner hervor¬
gehoben werden, daß ſie ungleich der katholiſchen ge¬
gen diſſentirende Schriften tolerant iſt, und ſtatt des
einzigen catalogi librorum probibitorum lieber die
ganze Menge der abweichenden Buͤcher in ihren hiſto¬
riſchen Apparat einregiſtrirt und ſie der Vergeſſen¬
heit ſelbſt dann entzieht, wenn ſie keine Anhaͤnger
mehr haben. Dieſer Toleranz verdanken wir die Er¬
haltung vieler trefflicher Werke ſowohl von Theoſo¬
phen als von Freigeiſtern.
Die Schattenſeite der philologiſchen Theologie
trifft auf gleiche Weiſe das Leben, wie die Literatur.
Was ſo oft den in Kloͤſtern erzogenen Prieſtern der
Katholiken vorgeworfen worden iſt, daß ſie an me¬
chaniſche aͤußere Werke gewoͤhnt, ohne Kenntniß des
Lebens und der Menſchen, nicht wuͤrdig zur Sorge
fuͤr die Seelen vorbereitet werden, kann man mit
gleichem Recht auch auf viele proteſtantiſche Prediger
anwenden, die in ihre Gemeinden treten und nur
Buͤcher, nicht die Menſchen kennen. In der Literatur
aber wird ohnſtreitig der uͤberwiegende Einfluß der
Philologie und Diplomatik dem Glauben ſelber nach¬
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