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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

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Idealisten nicht einzusehn vermögen. Leute, die nach
Freiheit seufzen, weil sie im eignen Geist ewig ge¬
fesselt sind, erkennen auch die Freiheit im andern
nicht, oder sehn im Spiegel ihrer Verkehrtheit jeden
in demselben Maaß für unfreier an, als er freier
ist. So hat eine ganze Bande unfreier Seelen sich
vereinigt, den genialen Görres, dessen Werke ein
Triumph geistiger Freiheit sind, gleichsam durch
Ostracismus aus dem deutschen Sternenhimmel her¬
auszuwerfen. Die Ansicht, von der sie ausgehn, ist
sicher die unfreieste, die es geben kann. Sie schrei¬
ben einem Glauben, in seiner bloßen formellen Äuße¬
rung alle Macht über den Menschen zu, da umge¬
kehrt vielmehr der Mensch die Macht über den Glau¬
ben übt. Sie wähnen, daß, so gut wie sie selbst mit
dem Siegel des Protestantismus gestempelt, sofort
aus Schafen gebildete und freie Menschen geworden
wären, auch auf der andern Seite jeder Mensch,
durch das Siegel des Katholicismus gestempelt, noth¬
wendig ein Barbar und unfrei werden müsse, und
sie haben keine Ahnung davon, daß der Katholicis¬
mus im Geist eines genialen Menschen eine eben so
würdige Gestalt annehmen könne, als der Protestan¬
tismus in dem ihrigen allerdings in eine unwürdige
karrikirt wird.

Es gibt über alle Verderbnisse des Katholicis¬
mus weit erhaben, noch kräftige, reine Naturen, rie¬
senhafte Genien, in denen die Idee wiedergeboren
wird, denen der Mysticismus des Mittelalters or¬

Idealiſten nicht einzuſehn vermoͤgen. Leute, die nach
Freiheit ſeufzen, weil ſie im eignen Geiſt ewig ge¬
feſſelt ſind, erkennen auch die Freiheit im andern
nicht, oder ſehn im Spiegel ihrer Verkehrtheit jeden
in demſelben Maaß fuͤr unfreier an, als er freier
iſt. So hat eine ganze Bande unfreier Seelen ſich
vereinigt, den genialen Goͤrres, deſſen Werke ein
Triumph geiſtiger Freiheit ſind, gleichſam durch
Oſtracismus aus dem deutſchen Sternenhimmel her¬
auszuwerfen. Die Anſicht, von der ſie ausgehn, iſt
ſicher die unfreieſte, die es geben kann. Sie ſchrei¬
ben einem Glauben, in ſeiner bloßen formellen Äuße¬
rung alle Macht uͤber den Menſchen zu, da umge¬
kehrt vielmehr der Menſch die Macht uͤber den Glau¬
ben uͤbt. Sie waͤhnen, daß, ſo gut wie ſie ſelbſt mit
dem Siegel des Proteſtantismus geſtempelt, ſofort
aus Schafen gebildete und freie Menſchen geworden
waͤren, auch auf der andern Seite jeder Menſch,
durch das Siegel des Katholicismus geſtempelt, noth¬
wendig ein Barbar und unfrei werden muͤſſe, und
ſie haben keine Ahnung davon, daß der Katholicis¬
mus im Geiſt eines genialen Menſchen eine eben ſo
wuͤrdige Geſtalt annehmen koͤnne, als der Proteſtan¬
tismus in dem ihrigen allerdings in eine unwuͤrdige
karrikirt wird.

Es gibt uͤber alle Verderbniſſe des Katholicis¬
mus weit erhaben, noch kraͤftige, reine Naturen, rie¬
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[105/0115] Idealiſten nicht einzuſehn vermoͤgen. Leute, die nach Freiheit ſeufzen, weil ſie im eignen Geiſt ewig ge¬ feſſelt ſind, erkennen auch die Freiheit im andern nicht, oder ſehn im Spiegel ihrer Verkehrtheit jeden in demſelben Maaß fuͤr unfreier an, als er freier iſt. So hat eine ganze Bande unfreier Seelen ſich vereinigt, den genialen Goͤrres, deſſen Werke ein Triumph geiſtiger Freiheit ſind, gleichſam durch Oſtracismus aus dem deutſchen Sternenhimmel her¬ auszuwerfen. Die Anſicht, von der ſie ausgehn, iſt ſicher die unfreieſte, die es geben kann. Sie ſchrei¬ ben einem Glauben, in ſeiner bloßen formellen Äuße¬ rung alle Macht uͤber den Menſchen zu, da umge¬ kehrt vielmehr der Menſch die Macht uͤber den Glau¬ ben uͤbt. Sie waͤhnen, daß, ſo gut wie ſie ſelbſt mit dem Siegel des Proteſtantismus geſtempelt, ſofort aus Schafen gebildete und freie Menſchen geworden waͤren, auch auf der andern Seite jeder Menſch, durch das Siegel des Katholicismus geſtempelt, noth¬ wendig ein Barbar und unfrei werden muͤſſe, und ſie haben keine Ahnung davon, daß der Katholicis¬ mus im Geiſt eines genialen Menſchen eine eben ſo wuͤrdige Geſtalt annehmen koͤnne, als der Proteſtan¬ tismus in dem ihrigen allerdings in eine unwuͤrdige karrikirt wird. Es gibt uͤber alle Verderbniſſe des Katholicis¬ mus weit erhaben, noch kraͤftige, reine Naturen, rie¬ ſenhafte Genien, in denen die Idee wiedergeboren wird, denen der Myſticismus des Mittelalters or¬

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/115>, abgerufen am 23.11.2024.