keit des gesellschaftlichen Lebens beruhet. Plu- tarch und Bayle mögen immer untersuchen: ob ein Staat bey der Atheisterey nicht besser beste- hen könne, als beym Aberglauben? mögen im- mer die Plagen berechnen, und vergleichen, die dem menschlichen Geschlechte aus diesen verschie- denen Quellen des Elends bisher entstanden sind, und noch zu entstehen drohen. Im Grun- de heißt dieses nichts anders, als untersuchen: ob ein schleichendes oder ein hitziges Fieber töd- licher sey? Seinen Freunden wird man gleich- wohl keines von beiden anwünschen. So wird eine jede bürgerliche Gesellschaft wohl thun, wenn sie keines von beiden, weder Fanatismus, noch Atheisterey Wurzel schlagen und sich aus- breiten läßt. Der Staatskörper siecht und ist elend, er mag vom Krebsschaden aufgerieben, oder von Fieberhitze verzehrt werden.
Aber nur von Ferne her muß der Staat hierauf Rücksicht nehmen, und selbst die Lehren nur mit weiser Mäßigung begünstigen, auf wel- chen seine wahre Glückseligkeit beruhet, ohne sich unmittelbar in irgend eine Streitigkeit zu mischen, und durch Autorität entscheiden zu wol-
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keit des geſellſchaftlichen Lebens beruhet. Plu- tarch und Bayle moͤgen immer unterſuchen: ob ein Staat bey der Atheiſterey nicht beſſer beſte- hen koͤnne, als beym Aberglauben? moͤgen im- mer die Plagen berechnen, und vergleichen, die dem menſchlichen Geſchlechte aus dieſen verſchie- denen Quellen des Elends bisher entſtanden ſind, und noch zu entſtehen drohen. Im Grun- de heißt dieſes nichts anders, als unterſuchen: ob ein ſchleichendes oder ein hitziges Fieber toͤd- licher ſey? Seinen Freunden wird man gleich- wohl keines von beiden anwuͤnſchen. So wird eine jede buͤrgerliche Geſellſchaft wohl thun, wenn ſie keines von beiden, weder Fanatismus, noch Atheiſterey Wurzel ſchlagen und ſich aus- breiten laͤßt. Der Staatskoͤrper ſiecht und iſt elend, er mag vom Krebsſchaden aufgerieben, oder von Fieberhitze verzehrt werden.
Aber nur von Ferne her muß der Staat hierauf Ruͤckſicht nehmen, und ſelbſt die Lehren nur mit weiſer Maͤßigung beguͤnſtigen, auf wel- chen ſeine wahre Gluͤckſeligkeit beruhet, ohne ſich unmittelbar in irgend eine Streitigkeit zu miſchen, und durch Autoritaͤt entſcheiden zu wol-
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keit des geſellſchaftlichen Lebens beruhet. Plu-
tarch und Bayle moͤgen immer unterſuchen: ob
ein Staat bey der Atheiſterey nicht beſſer beſte-
hen koͤnne, als beym Aberglauben? moͤgen im-
mer die Plagen berechnen, und vergleichen, die
dem menſchlichen Geſchlechte aus dieſen verſchie-
denen Quellen des Elends bisher entſtanden
ſind, und noch zu entſtehen drohen. Im Grun-
de heißt dieſes nichts anders, als unterſuchen:
ob ein ſchleichendes oder ein hitziges Fieber toͤd-
licher ſey? Seinen Freunden wird man gleich-
wohl keines von beiden anwuͤnſchen. So wird
eine jede buͤrgerliche Geſellſchaft wohl thun,
wenn ſie keines von beiden, weder Fanatismus,
noch Atheiſterey Wurzel ſchlagen und ſich aus-
breiten laͤßt. Der Staatskoͤrper ſiecht und iſt
elend, er mag vom Krebsſchaden aufgerieben,
oder von Fieberhitze verzehrt werden.
Aber nur von Ferne her muß der Staat
hierauf Ruͤckſicht nehmen, und ſelbſt die Lehren
nur mit weiſer Maͤßigung beguͤnſtigen, auf wel-
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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/75>, abgerufen am 16.07.2024.
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