men, der leisten soll. Man kann aber auch für gut finden, auf dieses Recht der Unab- hängigkeit durch einen gesellschaftlichen Ver- trag Verzicht zu thun, und durch Positivge- setze diese unvollkommene Pflichten in vollkom- mene verwandeln; d. i. man kann die nähere Bestimmungen verabreden und festsetzen, wie viel jedes Mitglied, von seinen Rechten zum Nutzen der Gesellschaft zu verwenden, soll ge- zwungen werden können. Der Staat, oder die den Staat vorstellen, werden als eine moralische Person betrachtet, die über diese Rechte zu schalten hat. Der Staat hat also Rechte und Gerechtsame auf Güter und Hand- lungen der Menschen. Er kann nach dem Ge- setze geben und nehmen, vorschreiben und ver- bieten, und weil es ihm auch um Handlung als Handlung zu thun ist, bestrafen und be- lohnen. Der Pflicht gegen meinen Nächsten geschiehet äußerlich Genüge, wenn ich ihm leiste, was ich soll; meine Handlung mag er- zwungen oder freywillig seyn. Kann nun der Staat nicht durch innere Triebfedern wirken, und dadurch für mich mit sorgen; so wirkt er
wenig-
D 5
men, der leiſten ſoll. Man kann aber auch fuͤr gut finden, auf dieſes Recht der Unab- haͤngigkeit durch einen geſellſchaftlichen Ver- trag Verzicht zu thun, und durch Poſitivge- ſetze dieſe unvollkommene Pflichten in vollkom- mene verwandeln; d. i. man kann die naͤhere Beſtimmungen verabreden und feſtſetzen, wie viel jedes Mitglied, von ſeinen Rechten zum Nutzen der Geſellſchaft zu verwenden, ſoll ge- zwungen werden koͤnnen. Der Staat, oder die den Staat vorſtellen, werden als eine moraliſche Perſon betrachtet, die uͤber dieſe Rechte zu ſchalten hat. Der Staat hat alſo Rechte und Gerechtſame auf Guͤter und Hand- lungen der Menſchen. Er kann nach dem Ge- ſetze geben und nehmen, vorſchreiben und ver- bieten, und weil es ihm auch um Handlung als Handlung zu thun iſt, beſtrafen und be- lohnen. Der Pflicht gegen meinen Naͤchſten geſchiehet aͤußerlich Genuͤge, wenn ich ihm leiſte, was ich ſoll; meine Handlung mag er- zwungen oder freywillig ſeyn. Kann nun der Staat nicht durch innere Triebfedern wirken, und dadurch fuͤr mich mit ſorgen; ſo wirkt er
wenig-
D 5
<TEI><text><body><p><pbfacs="#f0063"n="57"/>
men, der leiſten ſoll. Man kann aber auch<lb/>
fuͤr gut finden, auf dieſes Recht der Unab-<lb/>
haͤngigkeit durch einen geſellſchaftlichen <hirendition="#fr">Ver-<lb/>
trag</hi> Verzicht zu thun, und durch <hirendition="#fr">Poſitivge-<lb/>ſetze</hi> dieſe unvollkommene Pflichten in vollkom-<lb/>
mene verwandeln; d. i. man kann die naͤhere<lb/>
Beſtimmungen verabreden und feſtſetzen, wie<lb/>
viel jedes Mitglied, von ſeinen Rechten zum<lb/>
Nutzen der Geſellſchaft zu verwenden, ſoll ge-<lb/>
zwungen werden koͤnnen. Der Staat, oder<lb/>
die den Staat vorſtellen, werden als eine<lb/>
moraliſche Perſon betrachtet, die uͤber dieſe<lb/>
Rechte zu ſchalten hat. Der Staat hat alſo<lb/>
Rechte und Gerechtſame auf Guͤter und Hand-<lb/>
lungen der Menſchen. Er kann nach dem Ge-<lb/>ſetze geben und nehmen, vorſchreiben und ver-<lb/>
bieten, und weil es ihm auch um Handlung<lb/>
als Handlung zu thun iſt, beſtrafen und be-<lb/>
lohnen. Der Pflicht gegen meinen Naͤchſten<lb/>
geſchiehet aͤußerlich Genuͤge, wenn ich ihm<lb/>
leiſte, was ich ſoll; meine <choice><sic>Haudlung</sic><corr>Handlung</corr></choice> mag er-<lb/>
zwungen oder freywillig ſeyn. Kann nun der<lb/>
Staat nicht durch innere Triebfedern wirken,<lb/>
und dadurch fuͤr mich mit ſorgen; ſo wirkt er<lb/><fwplace="bottom"type="sig">D 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">wenig-</fw><lb/></p></body></text></TEI>
[57/0063]
men, der leiſten ſoll. Man kann aber auch
fuͤr gut finden, auf dieſes Recht der Unab-
haͤngigkeit durch einen geſellſchaftlichen Ver-
trag Verzicht zu thun, und durch Poſitivge-
ſetze dieſe unvollkommene Pflichten in vollkom-
mene verwandeln; d. i. man kann die naͤhere
Beſtimmungen verabreden und feſtſetzen, wie
viel jedes Mitglied, von ſeinen Rechten zum
Nutzen der Geſellſchaft zu verwenden, ſoll ge-
zwungen werden koͤnnen. Der Staat, oder
die den Staat vorſtellen, werden als eine
moraliſche Perſon betrachtet, die uͤber dieſe
Rechte zu ſchalten hat. Der Staat hat alſo
Rechte und Gerechtſame auf Guͤter und Hand-
lungen der Menſchen. Er kann nach dem Ge-
ſetze geben und nehmen, vorſchreiben und ver-
bieten, und weil es ihm auch um Handlung
als Handlung zu thun iſt, beſtrafen und be-
lohnen. Der Pflicht gegen meinen Naͤchſten
geſchiehet aͤußerlich Genuͤge, wenn ich ihm
leiſte, was ich ſoll; meine Handlung mag er-
zwungen oder freywillig ſeyn. Kann nun der
Staat nicht durch innere Triebfedern wirken,
und dadurch fuͤr mich mit ſorgen; ſo wirkt er
wenig-
D 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/63>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.