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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783.

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nennen ist, keine Ausnahme von dem an-
geführten Naturgesetz, daß der Mensch im
Stande der Natur unabhängig sey, und ihm
allein das Recht zukomme, die Collisions-
fälle zwischen Selbstgebrauch und Wohl-
wollen
zu entscheiden.

In diesem Rechte bestehet die natürliche
Freiheit des Menschen, die einen großen
Theil seiner Glückseligkeit ausmacht. Die
Unabhängigkeit gehört also zu seinen eigen-
tümlichen Gütern, deren er sich, als Mit-

tel
welche die Veränderung verursacht hat, nicht auch
für die Folgen dieser Veränderung stehen, den Ge-
gentheil schadlos halten, und so viel es sich thun
läßt, wieder in den vorigen Stand setzen? Mich
dünkt nichts sey einfacher, und die Sache rede für
sich selber. Niemand kann gezwungen werden,
Bedingungen eines Contrakts anzunehmen, zu
welchen er sich, seinen Grundsätzen nach, nicht hat
verstehen können.
An Erziehung der gemeinschaftlichen Kinder
haben beide Theile gleiches Recht. Hätten wir
unparteyische Erziehungsanstalten; so müßten in
solchen streitigen Fällen die Kinder so lange un-
parteyisch erzogen werden, bis sie zur Vernunft
kom-

nennen iſt, keine Ausnahme von dem an-
gefuͤhrten Naturgeſetz, daß der Menſch im
Stande der Natur unabhaͤngig ſey, und ihm
allein das Recht zukomme, die Colliſions-
faͤlle zwiſchen Selbſtgebrauch und Wohl-
wollen
zu entſcheiden.

In dieſem Rechte beſtehet die natuͤrliche
Freiheit des Menſchen, die einen großen
Theil ſeiner Gluͤckſeligkeit ausmacht. Die
Unabhaͤngigkeit gehoͤrt alſo zu ſeinen eigen-
tuͤmlichen Guͤtern, deren er ſich, als Mit-

tel
welche die Veraͤnderung verurſacht hat, nicht auch
fuͤr die Folgen dieſer Veraͤnderung ſtehen, den Ge-
gentheil ſchadlos halten, und ſo viel es ſich thun
laͤßt, wieder in den vorigen Stand ſetzen? Mich
duͤnkt nichts ſey einfacher, und die Sache rede fuͤr
ſich ſelber. Niemand kann gezwungen werden,
Bedingungen eines Contrakts anzunehmen, zu
welchen er ſich, ſeinen Grundſaͤtzen nach, nicht hat
verſtehen koͤnnen.
An Erziehung der gemeinſchaftlichen Kinder
haben beide Theile gleiches Recht. Haͤtten wir
unparteyiſche Erziehungsanſtalten; ſo muͤßten in
ſolchen ſtreitigen Faͤllen die Kinder ſo lange un-
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[45/0051] nennen iſt, keine Ausnahme von dem an- gefuͤhrten Naturgeſetz, daß der Menſch im Stande der Natur unabhaͤngig ſey, und ihm allein das Recht zukomme, die Colliſions- faͤlle zwiſchen Selbſtgebrauch und Wohl- wollen zu entſcheiden. In dieſem Rechte beſtehet die natuͤrliche Freiheit des Menſchen, die einen großen Theil ſeiner Gluͤckſeligkeit ausmacht. Die Unabhaͤngigkeit gehoͤrt alſo zu ſeinen eigen- tuͤmlichen Guͤtern, deren er ſich, als Mit- tel *) *) welche die Veraͤnderung verurſacht hat, nicht auch fuͤr die Folgen dieſer Veraͤnderung ſtehen, den Ge- gentheil ſchadlos halten, und ſo viel es ſich thun laͤßt, wieder in den vorigen Stand ſetzen? Mich duͤnkt nichts ſey einfacher, und die Sache rede fuͤr ſich ſelber. Niemand kann gezwungen werden, Bedingungen eines Contrakts anzunehmen, zu welchen er ſich, ſeinen Grundſaͤtzen nach, nicht hat verſtehen koͤnnen. An Erziehung der gemeinſchaftlichen Kinder haben beide Theile gleiches Recht. Haͤtten wir unparteyiſche Erziehungsanſtalten; ſo muͤßten in ſolchen ſtreitigen Faͤllen die Kinder ſo lange un- parteyiſch erzogen werden, bis ſie zur Vernunft kom-

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Zitationshilfe: Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/51>, abgerufen am 24.11.2024.