Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

Natur durch keine Zwangsmittel, zu kei-
nerley Zeit, zum Wohlthun angehalten
werden. Meine Pflicht wohlzuthun, ist
blos Gewissenspflicht, davon ich äusserlich
niemanden Rechenschaft zu geben habe; so
wie mein Recht auf anderer Wohlthun,
blos ein Recht zu bitten ist, das abge-
wiesen werden kann. -- Im Stande der
Natur sind alle positive Pflichten der
Menschen gegen einander blos unvollkom-
mene
Pflichten; so wie ihre positive
Rechte auf einander blos unvollkommene
Rechte, keine Pflichten, die erpreßt wer-
den können, keine Rechte, die Zwang er-
lauben. -- Blos die Unterlassungspflichten
und Rechte sind im Stande der Natur
vollkommen. Ich bin vollkommen ver-
pflichtet, niemanden zu schaden, und voll-
kommen berechtiget, zu verhindern, daß
niemand mir schade. Schaden aber heißt,
wie bekannt, wider das vollkommene
Recht eines andern handeln
.

Man könnte zwar glauben, die Pflicht
zur Entschädigung sey eine positive Pflicht,
zu der der Mensch auch im Stande der

Natur

Natur durch keine Zwangsmittel, zu kei-
nerley Zeit, zum Wohlthun angehalten
werden. Meine Pflicht wohlzuthun, iſt
blos Gewiſſenspflicht, davon ich aͤuſſerlich
niemanden Rechenſchaft zu geben habe; ſo
wie mein Recht auf anderer Wohlthun,
blos ein Recht zu bitten iſt, das abge-
wieſen werden kann. — Im Stande der
Natur ſind alle poſitive Pflichten der
Menſchen gegen einander blos unvollkom-
mene
Pflichten; ſo wie ihre poſitive
Rechte auf einander blos unvollkommene
Rechte, keine Pflichten, die erpreßt wer-
den koͤnnen, keine Rechte, die Zwang er-
lauben. — Blos die Unterlaſſungspflichten
und Rechte ſind im Stande der Natur
vollkommen. Ich bin vollkommen ver-
pflichtet, niemanden zu ſchaden, und voll-
kommen berechtiget, zu verhindern, daß
niemand mir ſchade. Schaden aber heißt,
wie bekannt, wider das vollkommene
Recht eines andern handeln
.

Man koͤnnte zwar glauben, die Pflicht
zur Entſchaͤdigung ſey eine poſitive Pflicht,
zu der der Menſch auch im Stande der

Natur
<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0042" n="36"/>
Natur durch keine Zwangsmittel, zu kei-<lb/>
nerley Zeit, zum Wohlthun angehalten<lb/>
werden. Meine Pflicht wohlzuthun, i&#x017F;t<lb/>
blos <hi rendition="#fr">Gewi&#x017F;&#x017F;enspflicht</hi>, davon ich a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erlich<lb/>
niemanden Rechen&#x017F;chaft zu geben habe; &#x017F;o<lb/>
wie mein Recht auf anderer Wohlthun,<lb/>
blos ein Recht zu bitten i&#x017F;t, das abge-<lb/>
wie&#x017F;en werden kann. &#x2014; Im Stande der<lb/>
Natur &#x017F;ind alle <hi rendition="#fr">po&#x017F;itive</hi> Pflichten der<lb/>
Men&#x017F;chen gegen einander blos <hi rendition="#fr">unvollkom-<lb/>
mene</hi> Pflichten; &#x017F;o wie ihre po&#x017F;itive<lb/>
Rechte auf einander blos <hi rendition="#fr">unvollkommene</hi><lb/>
Rechte, keine Pflichten, die erpreßt wer-<lb/>
den ko&#x0364;nnen, keine Rechte, die Zwang er-<lb/>
lauben. &#x2014; Blos die Unterla&#x017F;&#x017F;ungspflichten<lb/>
und Rechte &#x017F;ind im Stande der Natur<lb/>
vollkommen. Ich bin vollkommen ver-<lb/>
pflichtet, niemanden zu <hi rendition="#fr">&#x017F;chaden</hi>, und voll-<lb/>
kommen berechtiget, zu verhindern, daß<lb/>
niemand mir <hi rendition="#fr">&#x017F;chade</hi>. Schaden aber heißt,<lb/>
wie bekannt, <hi rendition="#fr">wider das vollkommene<lb/>
Recht eines andern handeln</hi>.</p><lb/>
      <p>Man ko&#x0364;nnte zwar glauben, die Pflicht<lb/>
zur Ent&#x017F;cha&#x0364;digung &#x017F;ey eine po&#x017F;itive Pflicht,<lb/>
zu der der Men&#x017F;ch auch im Stande der<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Natur</fw><lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0042] Natur durch keine Zwangsmittel, zu kei- nerley Zeit, zum Wohlthun angehalten werden. Meine Pflicht wohlzuthun, iſt blos Gewiſſenspflicht, davon ich aͤuſſerlich niemanden Rechenſchaft zu geben habe; ſo wie mein Recht auf anderer Wohlthun, blos ein Recht zu bitten iſt, das abge- wieſen werden kann. — Im Stande der Natur ſind alle poſitive Pflichten der Menſchen gegen einander blos unvollkom- mene Pflichten; ſo wie ihre poſitive Rechte auf einander blos unvollkommene Rechte, keine Pflichten, die erpreßt wer- den koͤnnen, keine Rechte, die Zwang er- lauben. — Blos die Unterlaſſungspflichten und Rechte ſind im Stande der Natur vollkommen. Ich bin vollkommen ver- pflichtet, niemanden zu ſchaden, und voll- kommen berechtiget, zu verhindern, daß niemand mir ſchade. Schaden aber heißt, wie bekannt, wider das vollkommene Recht eines andern handeln. Man koͤnnte zwar glauben, die Pflicht zur Entſchaͤdigung ſey eine poſitive Pflicht, zu der der Menſch auch im Stande der Natur

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/42
Zitationshilfe: Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/42>, abgerufen am 21.11.2024.