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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783.

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Gesellschaft Verzicht thun müssen, weil ohne
diese Verzicht eine bürgerliche Gesellschaft ein
Unding ist. -- Nicht also die Religion! Diese
kennet keine Handlung ohne Gesinnung, kein
Werk ohne Geist, keine Uebereinstimmung im
Thun, ohne Uebereinstimmung im Sinne. Re-
ligiöse Handlungen, ohne religiöse Gedanken, ist
leeres Puppenspiel, kein Gottesdienst. Diese
müssen also an und für sich selbst aus dem
Geiste kommen, und können weder durch Be-
lohnung erkauft, noch durch Strafen erzwun-
gen werden. Aber auch von bürgerlichen Hand-
lungen ziehet die Religion ihre Hand ab, in so
weit sie nicht durch Gesinnung, sondern durch
Macht hervorgebracht werden. Der Staat hat
sich auch keine Hülfe mehr von der Religion zu
versprechen, sobald er blos durch Belohnung
und Bestrafung würken kann; denn in so weit
dieses geschiehet, kommen die Pflichten gegen
Gott weiter in keine Betrachtung, sind die Ver-
hältnisse zwischen dem Menschen und seinem
Schöpfer ohne Wirkung. Aller Beystand, den
die Religion dem Staate leisten kann, ist Be-
lehren
und Trösten; durch ihre göttlichen Leh-
ren dem Bürger gemeinnützige Gesinnungen bey-

brin-

Geſellſchaft Verzicht thun muͤſſen, weil ohne
dieſe Verzicht eine buͤrgerliche Geſellſchaft ein
Unding iſt. — Nicht alſo die Religion! Dieſe
kennet keine Handlung ohne Geſinnung, kein
Werk ohne Geiſt, keine Uebereinſtimmung im
Thun, ohne Uebereinſtimmung im Sinne. Re-
ligioͤſe Handlungen, ohne religioͤſe Gedanken, iſt
leeres Puppenſpiel, kein Gottesdienſt. Dieſe
muͤſſen alſo an und fuͤr ſich ſelbſt aus dem
Geiſte kommen, und koͤnnen weder durch Be-
lohnung erkauft, noch durch Strafen erzwun-
gen werden. Aber auch von buͤrgerlichen Hand-
lungen ziehet die Religion ihre Hand ab, in ſo
weit ſie nicht durch Geſinnung, ſondern durch
Macht hervorgebracht werden. Der Staat hat
ſich auch keine Huͤlfe mehr von der Religion zu
verſprechen, ſobald er blos durch Belohnung
und Beſtrafung wuͤrken kann; denn in ſo weit
dieſes geſchiehet, kommen die Pflichten gegen
Gott weiter in keine Betrachtung, ſind die Ver-
haͤltniſſe zwiſchen dem Menſchen und ſeinem
Schoͤpfer ohne Wirkung. Aller Beyſtand, den
die Religion dem Staate leiſten kann, iſt Be-
lehren
und Troͤſten; durch ihre goͤttlichen Leh-
ren dem Buͤrger gemeinnuͤtzige Geſinnungen bey-

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[27/0033] Geſellſchaft Verzicht thun muͤſſen, weil ohne dieſe Verzicht eine buͤrgerliche Geſellſchaft ein Unding iſt. — Nicht alſo die Religion! Dieſe kennet keine Handlung ohne Geſinnung, kein Werk ohne Geiſt, keine Uebereinſtimmung im Thun, ohne Uebereinſtimmung im Sinne. Re- ligioͤſe Handlungen, ohne religioͤſe Gedanken, iſt leeres Puppenſpiel, kein Gottesdienſt. Dieſe muͤſſen alſo an und fuͤr ſich ſelbſt aus dem Geiſte kommen, und koͤnnen weder durch Be- lohnung erkauft, noch durch Strafen erzwun- gen werden. Aber auch von buͤrgerlichen Hand- lungen ziehet die Religion ihre Hand ab, in ſo weit ſie nicht durch Geſinnung, ſondern durch Macht hervorgebracht werden. Der Staat hat ſich auch keine Huͤlfe mehr von der Religion zu verſprechen, ſobald er blos durch Belohnung und Beſtrafung wuͤrken kann; denn in ſo weit dieſes geſchiehet, kommen die Pflichten gegen Gott weiter in keine Betrachtung, ſind die Ver- haͤltniſſe zwiſchen dem Menſchen und ſeinem Schoͤpfer ohne Wirkung. Aller Beyſtand, den die Religion dem Staate leiſten kann, iſt Be- lehren und Troͤſten; durch ihre goͤttlichen Leh- ren dem Buͤrger gemeinnuͤtzige Geſinnungen bey- brin-

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Zitationshilfe: Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/33>, abgerufen am 24.11.2024.