giert wird. Mit andern Worten, je mehr dem Bürger Anlaß gegeben wird, anschauend zu er- kennen, daß er auf einige seiner Rechte nur zum allgemeinen Besten Verzicht zu thun, von seinem Eigennutzen nur zum Behuf des Wohlwollens aufzuopfern hat, und also von der einen Seite durch Aeusserung des Wohlwollens eben so viel gewinnet, als er durch die Aufopferung verliert. Ja, daß er durch die Aufopferung selbst noch an innerer Glückseligkeit wuchere; indem diese das Verdienst und die Würde der wohlthätigen Handlung und also die wahre Vollkommenheit des Wohlwollenden vermehret. Es ist z. B. nicht rathsam, daß der Staat alle Pflichten der Menschenliebe, bis auf die Almosenpflege, übernehme, und in öffentliche Anstalten verwan- dele. Der Mensch fühlt seinen Werth, wenn er Mildthätigkeit ausübt; wenn er anschauend wahrnimmt, wie er durch seine Gabe die Noth seines Nebenmenschen erleichtert; wenn er giebt, weil er will. Giebt er aber, weil er muß; so fühlt er nur seine Fesseln.
Eine Hauptbemühung des Staats muß es also seyn, die Menschen durch Sitten und Ge- sinnungen zu regieren. Nun giebt es kein Mit-
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giert wird. Mit andern Worten, je mehr dem Buͤrger Anlaß gegeben wird, anſchauend zu er- kennen, daß er auf einige ſeiner Rechte nur zum allgemeinen Beſten Verzicht zu thun, von ſeinem Eigennutzen nur zum Behuf des Wohlwollens aufzuopfern hat, und alſo von der einen Seite durch Aeuſſerung des Wohlwollens eben ſo viel gewinnet, als er durch die Aufopferung verliert. Ja, daß er durch die Aufopferung ſelbſt noch an innerer Gluͤckſeligkeit wuchere; indem dieſe das Verdienſt und die Wuͤrde der wohlthaͤtigen Handlung und alſo die wahre Vollkommenheit des Wohlwollenden vermehret. Es iſt z. B. nicht rathſam, daß der Staat alle Pflichten der Menſchenliebe, bis auf die Almoſenpflege, uͤbernehme, und in oͤffentliche Anſtalten verwan- dele. Der Menſch fuͤhlt ſeinen Werth, wenn er Mildthaͤtigkeit ausuͤbt; wenn er anſchauend wahrnimmt, wie er durch ſeine Gabe die Noth ſeines Nebenmenſchen erleichtert; wenn er giebt, weil er will. Giebt er aber, weil er muß; ſo fuͤhlt er nur ſeine Feſſeln.
Eine Hauptbemuͤhung des Staats muß es alſo ſeyn, die Menſchen durch Sitten und Ge- ſinnungen zu regieren. Nun giebt es kein Mit-
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giert wird. Mit andern Worten, je mehr dem
Buͤrger Anlaß gegeben wird, anſchauend zu er-
kennen, daß er auf einige ſeiner Rechte nur zum
allgemeinen Beſten Verzicht zu thun, von ſeinem
Eigennutzen nur zum Behuf des Wohlwollens
aufzuopfern hat, und alſo von der einen Seite
durch Aeuſſerung des Wohlwollens eben ſo viel
gewinnet, als er durch die Aufopferung verliert.
Ja, daß er durch die Aufopferung ſelbſt noch
an innerer Gluͤckſeligkeit wuchere; indem dieſe
das Verdienſt und die Wuͤrde der wohlthaͤtigen
Handlung und alſo die wahre Vollkommenheit
des Wohlwollenden vermehret. Es iſt z. B.
nicht rathſam, daß der Staat alle Pflichten
der Menſchenliebe, bis auf die Almoſenpflege,
uͤbernehme, und in oͤffentliche Anſtalten verwan-
dele. Der Menſch fuͤhlt ſeinen Werth, wenn er
Mildthaͤtigkeit ausuͤbt; wenn er anſchauend
wahrnimmt, wie er durch ſeine Gabe die Noth
ſeines Nebenmenſchen erleichtert; wenn er giebt,
weil er will. Giebt er aber, weil er muß;
ſo fuͤhlt er nur ſeine Feſſeln.
Eine Hauptbemuͤhung des Staats muß es
alſo ſeyn, die Menſchen durch Sitten und Ge-
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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/29>, abgerufen am 16.07.2024.
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