lich. Indessen mußte sie noch immer selten seyn, so lange der König selbst nicht nur von der Na- tion war, sondern auch den Gesetzen des Vater- landes gehorchte. Aber nun verfolge man die Geschichte, durch mancherley Schicksale und Ver- änderungen, durch manche gute und böse, got- tesfürchtige und gottvergessene Regierung hin- durch, bis auf jene traurigen Zeiten herunter, in welchen der Stifter der christlichen Religion den vorsichtigen Bescheid ertheilte: gebet dem Kai- ser, was des Kaisers, und Gotte, was Gottes ist. Offenbarer Gegensatz, Collision der Pflichten! Der Staat stund unter fremder Bothmäßigkeit, empfing seine Befehle gleichsam von fremden Göttern, und die einheimische Re- ligion mit einem Theile ihres Einflusses auf das bürgerliche Leben, hatte sich noch erhalten. Hier ist Forderung gegen Forderung, Anspruch gegen Anspruch. "Wem sollen wir geben? wem "gehorchen?" -- So ertraget denn beide La- sten, fiel der Bescheid aus, so gut ihr könnet; dienet zweien Herren in Geduld und Ergeben- heit: Gebet dem Kaiser und gebet auch Gotte! Jedem das Seine, nachdem die Einheit des In- teresse nun zerstört ist!
Und
lich. Indeſſen mußte ſie noch immer ſelten ſeyn, ſo lange der Koͤnig ſelbſt nicht nur von der Na- tion war, ſondern auch den Geſetzen des Vater- landes gehorchte. Aber nun verfolge man die Geſchichte, durch mancherley Schickſale und Ver- aͤnderungen, durch manche gute und boͤſe, got- tesfuͤrchtige und gottvergeſſene Regierung hin- durch, bis auf jene traurigen Zeiten herunter, in welchen der Stifter der chriſtlichen Religion den vorſichtigen Beſcheid ertheilte: gebet dem Kai- ſer, was des Kaiſers, und Gotte, was Gottes iſt. Offenbarer Gegenſatz, Colliſion der Pflichten! Der Staat ſtund unter fremder Bothmaͤßigkeit, empfing ſeine Befehle gleichſam von fremden Goͤttern, und die einheimiſche Re- ligion mit einem Theile ihres Einfluſſes auf das buͤrgerliche Leben, hatte ſich noch erhalten. Hier iſt Forderung gegen Forderung, Anſpruch gegen Anſpruch. „Wem ſollen wir geben? wem „gehorchen?“ — So ertraget denn beide La- ſten, fiel der Beſcheid aus, ſo gut ihr koͤnnet; dienet zweien Herren in Geduld und Ergeben- heit: Gebet dem Kaiſer und gebet auch Gotte! Jedem das Seine, nachdem die Einheit des In- tereſſe nun zerſtoͤrt iſt!
Und
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lich. Indeſſen mußte ſie noch immer ſelten ſeyn,
ſo lange der Koͤnig ſelbſt nicht nur von der Na-
tion war, ſondern auch den Geſetzen des Vater-
landes gehorchte. Aber nun verfolge man die
Geſchichte, durch mancherley Schickſale und Ver-
aͤnderungen, durch manche gute und boͤſe, got-
tesfuͤrchtige und gottvergeſſene Regierung hin-
durch, bis auf jene traurigen Zeiten herunter, in
welchen der Stifter der chriſtlichen Religion den
vorſichtigen Beſcheid ertheilte: gebet dem Kai-
ſer, was des Kaiſers, und Gotte, was
Gottes iſt. Offenbarer Gegenſatz, Colliſion
der Pflichten! Der Staat ſtund unter fremder
Bothmaͤßigkeit, empfing ſeine Befehle gleichſam
von fremden Goͤttern, und die einheimiſche Re-
ligion mit einem Theile ihres Einfluſſes auf
das buͤrgerliche Leben, hatte ſich noch erhalten.
Hier iſt Forderung gegen Forderung, Anſpruch
gegen Anſpruch. „Wem ſollen wir geben? wem
„gehorchen?“ — So ertraget denn beide La-
ſten, fiel der Beſcheid aus, ſo gut ihr koͤnnet;
dienet zweien Herren in Geduld und Ergeben-
heit: Gebet dem Kaiſer und gebet auch Gotte!
Jedem das Seine, nachdem die Einheit des In-
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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/228>, abgerufen am 16.02.2025.
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