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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783.

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Die ersten sichtbaren Zeichen, deren sich die
Menschen zu Bezeichnung ihrer abgesonderten Be-
griffe bedient haben, werden vermuthlich die Din-
ge selbst gewesen seyn. Wie nämlich jedes Ding in
der Natur einen eigenen Charakter hat, mit wel-
chem es sich von allen übrigen Dingen auszeichnet;
so wird der sinnliche Eindruck, den dieses Ding auf
uns macht, unsere Aufmerksamkeit hauptsächlich
auf dieses Unterscheidungszeichen lenken, die Idee
desselben rege machen, und also zur Bezeichnung
desselben gar füglich dienen können. So kann
der Löwe ein Zeichen der Tapferkeit, der Hund
ein Zeichen der Treue, der Pfau ein Zeichen der
stolzen Schönheit geworden seyn, und so haben
die ersten Aerzte lebendige Schlangen mit sich
geführt, zum Zeichen, daß sie das Schädliche un-
schädlich zu machen wüsten.

Mit der Zeit kann man es bequemer gefunden
haben, anstatt der Dinge selbst, ihre Bildnisse
in Körpern oder auf Flächen zu nehmen; end-
lich der Kürze halber sich der Umrisse zu bedie-
nen, sodann einen Theil des Umrisses Statt des
Ganzen gelten zu lassen, und endlich aus hetero-
genen Theilen ein unförmliches, aber bedeu-

tungs-
E 4

Die erſten ſichtbaren Zeichen, deren ſich die
Menſchen zu Bezeichnung ihrer abgeſonderten Be-
griffe bedient haben, werden vermuthlich die Din-
ge ſelbſt geweſen ſeyn. Wie naͤmlich jedes Ding in
der Natur einen eigenen Charakter hat, mit wel-
chem es ſich von allen uͤbrigen Dingen auszeichnet;
ſo wird der ſinnliche Eindruck, den dieſes Ding auf
uns macht, unſere Aufmerkſamkeit hauptſaͤchlich
auf dieſes Unterſcheidungszeichen lenken, die Idee
deſſelben rege machen, und alſo zur Bezeichnung
deſſelben gar fuͤglich dienen koͤnnen. So kann
der Loͤwe ein Zeichen der Tapferkeit, der Hund
ein Zeichen der Treue, der Pfau ein Zeichen der
ſtolzen Schoͤnheit geworden ſeyn, und ſo haben
die erſten Aerzte lebendige Schlangen mit ſich
gefuͤhrt, zum Zeichen, daß ſie das Schaͤdliche un-
ſchaͤdlich zu machen wuͤſten.

Mit der Zeit kann man es bequemer gefunden
haben, anſtatt der Dinge ſelbſt, ihre Bildniſſe
in Koͤrpern oder auf Flaͤchen zu nehmen; end-
lich der Kuͤrze halber ſich der Umriſſe zu bedie-
nen, ſodann einen Theil des Umriſſes Statt des
Ganzen gelten zu laſſen, und endlich aus hetero-
genen Theilen ein unfoͤrmliches, aber bedeu-

tungs-
E 4
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[71/0173] Die erſten ſichtbaren Zeichen, deren ſich die Menſchen zu Bezeichnung ihrer abgeſonderten Be- griffe bedient haben, werden vermuthlich die Din- ge ſelbſt geweſen ſeyn. Wie naͤmlich jedes Ding in der Natur einen eigenen Charakter hat, mit wel- chem es ſich von allen uͤbrigen Dingen auszeichnet; ſo wird der ſinnliche Eindruck, den dieſes Ding auf uns macht, unſere Aufmerkſamkeit hauptſaͤchlich auf dieſes Unterſcheidungszeichen lenken, die Idee deſſelben rege machen, und alſo zur Bezeichnung deſſelben gar fuͤglich dienen koͤnnen. So kann der Loͤwe ein Zeichen der Tapferkeit, der Hund ein Zeichen der Treue, der Pfau ein Zeichen der ſtolzen Schoͤnheit geworden ſeyn, und ſo haben die erſten Aerzte lebendige Schlangen mit ſich gefuͤhrt, zum Zeichen, daß ſie das Schaͤdliche un- ſchaͤdlich zu machen wuͤſten. Mit der Zeit kann man es bequemer gefunden haben, anſtatt der Dinge ſelbſt, ihre Bildniſſe in Koͤrpern oder auf Flaͤchen zu nehmen; end- lich der Kuͤrze halber ſich der Umriſſe zu bedie- nen, ſodann einen Theil des Umriſſes Statt des Ganzen gelten zu laſſen, und endlich aus hetero- genen Theilen ein unfoͤrmliches, aber bedeu- tungs- E 4

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Zitationshilfe: Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/173>, abgerufen am 24.11.2024.