selbst die Kräfte zu verleihen, solche zu entdecken. Zudem macht man durch diese Behauptung die Nothwendigkeit einer übernatürlichen Offenba- rung allgemeiner, als die Offenbarung selbst. Wenn denn das menschliche Geschlecht ohne Of- fenbarung verderbt und elend seyn müßte; wa- rum hat denn der bey weitem größere Theil des- selben von je her ohne wahre Offenbarung gelebet, oder warum müssen beide Indien war- ten, bis es den Europäern gefällt, ihnen eini- ge Tröster zu zusenden, die ihnen Bothschaft bringen sollen, ohne welche sie, dieser Meinung nach, weder tugendhaft, noch glückselig leben können? ihnen Bothschaft zu bringen, die sie ihren Umständen, und der Lage ihrer Erkennt- niß nach, weder recht verstehen, noch gehörig brauchen können?
Nach den Begriffen des wahren Judentums sind alle Bewohner der Erden zur Glückseligkeit berufen, und die Mittel derselben so ausgebrei- tet, als die Menschheit selbst, so milde ausge- spendet, als die Mittel sich des Hungers und anderer Naturbedürfnisse zu erwehren. Hier der rohen Natur überlassen, die ihre Kraft in-
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ſelbſt die Kraͤfte zu verleihen, ſolche zu entdecken. Zudem macht man durch dieſe Behauptung die Nothwendigkeit einer uͤbernatuͤrlichen Offenba- rung allgemeiner, als die Offenbarung ſelbſt. Wenn denn das menſchliche Geſchlecht ohne Of- fenbarung verderbt und elend ſeyn muͤßte; wa- rum hat denn der bey weitem groͤßere Theil deſ- ſelben von je her ohne wahre Offenbarung gelebet, oder warum muͤſſen beide Indien war- ten, bis es den Europaͤern gefaͤllt, ihnen eini- ge Troͤſter zu zuſenden, die ihnen Bothſchaft bringen ſollen, ohne welche ſie, dieſer Meinung nach, weder tugendhaft, noch gluͤckſelig leben koͤnnen? ihnen Bothſchaft zu bringen, die ſie ihren Umſtaͤnden, und der Lage ihrer Erkennt- niß nach, weder recht verſtehen, noch gehoͤrig brauchen koͤnnen?
Nach den Begriffen des wahren Judentums ſind alle Bewohner der Erden zur Gluͤckſeligkeit berufen, und die Mittel derſelben ſo ausgebrei- tet, als die Menſchheit ſelbſt, ſo milde ausge- ſpendet, als die Mittel ſich des Hungers und anderer Naturbeduͤrfniſſe zu erwehren. Hier der rohen Natur uͤberlaſſen, die ihre Kraft in-
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ſelbſt die Kraͤfte zu verleihen, ſolche zu entdecken.
Zudem macht man durch dieſe Behauptung die
Nothwendigkeit einer uͤbernatuͤrlichen Offenba-
rung allgemeiner, als die Offenbarung ſelbſt.
Wenn denn das menſchliche Geſchlecht ohne Of-
fenbarung verderbt und elend ſeyn muͤßte; wa-
rum hat denn der bey weitem groͤßere Theil deſ-
ſelben von je her ohne wahre Offenbarung
gelebet, oder warum muͤſſen beide Indien war-
ten, bis es den Europaͤern gefaͤllt, ihnen eini-
ge Troͤſter zu zuſenden, die ihnen Bothſchaft
bringen ſollen, ohne welche ſie, dieſer Meinung
nach, weder tugendhaft, noch gluͤckſelig leben
koͤnnen? ihnen Bothſchaft zu bringen, die ſie
ihren Umſtaͤnden, und der Lage ihrer Erkennt-
niß nach, weder recht verſtehen, noch gehoͤrig
brauchen koͤnnen?
Nach den Begriffen des wahren Judentums
ſind alle Bewohner der Erden zur Gluͤckſeligkeit
berufen, und die Mittel derſelben ſo ausgebrei-
tet, als die Menſchheit ſelbſt, ſo milde ausge-
ſpendet, als die Mittel ſich des Hungers und
anderer Naturbeduͤrfniſſe zu erwehren. Hier
der rohen Natur uͤberlaſſen, die ihre Kraft in-
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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/143>, abgerufen am 17.07.2024.
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