sie so und nicht anders wirklich geworden, weil sie, unter allen möglichen ihrer Art, so und nicht anders die besten sind. Mit andern Worten: sowohl die nothwendigen als zufälligen Wahr- heiten fließen aus einer gemeinschaftlichen Quelle, aus der Quelle aller Wahrheit: jene aus dem Verstande, diese aus dem Willen Gottes. Die Sätze der nothwendigen Wahrheiten sind wahr, weil sie Gott so und nicht anders sich vor- stellet; der zufälligen, weil sie Gott so und nicht anders gut gefunden, und seiner Weis- heit gemäß betrachtet hat. Beyspiele der ersteren Gattung sind die Sätze der reinen Mathematik und der Vernunftkunst; Beyspiele der letzteren die allgemeinen Sätze der Physik und Geisterleh- re, die Gesetze der Natur, nach welchen dieses Weltall, Körper und Geisterwelt regiert wird. Die ersten sind auch der Allmacht unveränder- lich, weil Gott selbst seinen unendlichen Ver- stand nicht veränderlich machen kann; die letz- tern hingegen sind dem Willen Gottes unter- worfen, und nur in so weit unveränderlich, als es seinem heiligen Willen gefällt, das heißt, in so weit sie seinen Absichten entsprechen. Seine
All-
Zweiter Abschn. C
ſie ſo und nicht anders wirklich geworden, weil ſie, unter allen moͤglichen ihrer Art, ſo und nicht anders die beſten ſind. Mit andern Worten: ſowohl die nothwendigen als zufaͤlligen Wahr- heiten fließen aus einer gemeinſchaftlichen Quelle, aus der Quelle aller Wahrheit: jene aus dem Verſtande, dieſe aus dem Willen Gottes. Die Saͤtze der nothwendigen Wahrheiten ſind wahr, weil ſie Gott ſo und nicht anders ſich vor- ſtellet; der zufaͤlligen, weil ſie Gott ſo und nicht anders gut gefunden, und ſeiner Weis- heit gemaͤß betrachtet hat. Beyſpiele der erſteren Gattung ſind die Saͤtze der reinen Mathematik und der Vernunftkunſt; Beyſpiele der letzteren die allgemeinen Saͤtze der Phyſik und Geiſterleh- re, die Geſetze der Natur, nach welchen dieſes Weltall, Koͤrper und Geiſterwelt regiert wird. Die erſten ſind auch der Allmacht unveraͤnder- lich, weil Gott ſelbſt ſeinen unendlichen Ver- ſtand nicht veraͤnderlich machen kann; die letz- tern hingegen ſind dem Willen Gottes unter- worfen, und nur in ſo weit unveraͤnderlich, als es ſeinem heiligen Willen gefaͤllt, das heißt, in ſo weit ſie ſeinen Abſichten entſprechen. Seine
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Zweiter Abſchn. C
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ſie ſo und nicht anders wirklich geworden, weil
ſie, unter allen moͤglichen ihrer Art, ſo und nicht
anders die beſten ſind. Mit andern Worten:
ſowohl die nothwendigen als zufaͤlligen Wahr-
heiten fließen aus einer gemeinſchaftlichen Quelle,
aus der Quelle aller Wahrheit: jene aus dem
Verſtande, dieſe aus dem Willen Gottes.
Die Saͤtze der nothwendigen Wahrheiten ſind
wahr, weil ſie Gott ſo und nicht anders ſich vor-
ſtellet; der zufaͤlligen, weil ſie Gott ſo und
nicht anders gut gefunden, und ſeiner Weis-
heit gemaͤß betrachtet hat. Beyſpiele der erſteren
Gattung ſind die Saͤtze der reinen Mathematik
und der Vernunftkunſt; Beyſpiele der letzteren
die allgemeinen Saͤtze der Phyſik und Geiſterleh-
re, die Geſetze der Natur, nach welchen dieſes
Weltall, Koͤrper und Geiſterwelt regiert wird.
Die erſten ſind auch der Allmacht unveraͤnder-
lich, weil Gott ſelbſt ſeinen unendlichen Ver-
ſtand nicht veraͤnderlich machen kann; die letz-
tern hingegen ſind dem Willen Gottes unter-
worfen, und nur in ſo weit unveraͤnderlich, als
es ſeinem heiligen Willen gefaͤllt, das heißt, in
ſo weit ſie ſeinen Abſichten entſprechen. Seine
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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/135>, abgerufen am 17.07.2024.
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