"Alles schon gut! recht gut! Aber den Glauben der Patriarchen? den Glauben Abrahams, der Gott seinen einzi- gen Sohn darbrachte; wer kan den jezt noch zu besizzen hoffen?
Hätte der Schulmeister auch nur den hun- dertsten Theil der Würkung sich gedacht, den diese unglücklichen Worte auf den armen Schäfer hatten, gewiß würd' er sich vor ihnen sorgfältig gehütet haben. Traurig, in tiefen Gedanken versenkt, in seinem Glauben erschüt- tert, ging dieser nun den ganzen Tag seiner Heerde nach; hört' und sah nichts rund um sich her; erwiederte, als er heim kam, nur kalt die Liebkosungen seiner Gattin und Kin- der; verschmähte, unterm Vorwand einer Un- päslichkeit, sein kleines Abendbrod, und hielt selbst seine Betstunde ohne Freudigkeit.
Die Ruh seiner Seele, seine feste Zuversicht auf göttliche Gnade war verschwunden. Tau- sendmal las er in der Bibel das zwei und zwanzigste Kapitel des ersten Buch Mosis von
„Alles ſchon gut! recht gut! Aber den Glauben der Patriarchen? den Glauben Abrahams, der Gott ſeinen einzi- gen Sohn darbrachte; wer kan den jezt noch zu beſizzen hoffen?
Haͤtte der Schulmeiſter auch nur den hun- dertſten Theil der Wuͤrkung ſich gedacht, den dieſe ungluͤcklichen Worte auf den armen Schaͤfer hatten, gewiß wuͤrd' er ſich vor ihnen ſorgfaͤltig gehuͤtet haben. Traurig, in tiefen Gedanken verſenkt, in ſeinem Glauben erſchuͤt- tert, ging dieſer nun den ganzen Tag ſeiner Heerde nach; hoͤrt' und ſah nichts rund um ſich her; erwiederte, als er heim kam, nur kalt die Liebkoſungen ſeiner Gattin und Kin- der; verſchmaͤhte, unterm Vorwand einer Un- paͤslichkeit, ſein kleines Abendbrod, und hielt ſelbſt ſeine Betſtunde ohne Freudigkeit.
Die Ruh ſeiner Seele, ſeine feſte Zuverſicht auf goͤttliche Gnade war verſchwunden. Tau- ſendmal las er in der Bibel das zwei und zwanzigſte Kapitel des erſten Buch Moſis von
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0494"n="486"/><p>„Alles ſchon gut! recht gut! Aber den<lb/>
Glauben der Patriarchen? den <hirendition="#g">Glauben<lb/>
Abrahams, der Gott ſeinen einzi-<lb/>
gen Sohn darbrachte;</hi> wer kan den<lb/>
jezt noch zu beſizzen hoffen?</p><lb/><p>Haͤtte der Schulmeiſter auch nur den hun-<lb/>
dertſten Theil der Wuͤrkung ſich gedacht, den<lb/>
dieſe ungluͤcklichen Worte auf den armen<lb/>
Schaͤfer hatten, gewiß wuͤrd' er ſich vor ihnen<lb/>ſorgfaͤltig gehuͤtet haben. Traurig, in tiefen<lb/>
Gedanken verſenkt, in ſeinem Glauben erſchuͤt-<lb/>
tert, ging dieſer nun den ganzen Tag ſeiner<lb/>
Heerde nach; hoͤrt' und ſah nichts rund um<lb/>ſich her; erwiederte, als er heim kam, nur<lb/>
kalt die Liebkoſungen ſeiner Gattin und Kin-<lb/>
der; verſchmaͤhte, unterm Vorwand einer Un-<lb/>
paͤslichkeit, ſein kleines Abendbrod, und hielt<lb/>ſelbſt ſeine Betſtunde ohne Freudigkeit.</p><lb/><p>Die Ruh ſeiner Seele, ſeine feſte Zuverſicht<lb/>
auf goͤttliche Gnade war verſchwunden. Tau-<lb/>ſendmal las er in der Bibel das zwei und<lb/>
zwanzigſte Kapitel des erſten Buch Moſis von<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[486/0494]
„Alles ſchon gut! recht gut! Aber den
Glauben der Patriarchen? den Glauben
Abrahams, der Gott ſeinen einzi-
gen Sohn darbrachte; wer kan den
jezt noch zu beſizzen hoffen?
Haͤtte der Schulmeiſter auch nur den hun-
dertſten Theil der Wuͤrkung ſich gedacht, den
dieſe ungluͤcklichen Worte auf den armen
Schaͤfer hatten, gewiß wuͤrd' er ſich vor ihnen
ſorgfaͤltig gehuͤtet haben. Traurig, in tiefen
Gedanken verſenkt, in ſeinem Glauben erſchuͤt-
tert, ging dieſer nun den ganzen Tag ſeiner
Heerde nach; hoͤrt' und ſah nichts rund um
ſich her; erwiederte, als er heim kam, nur
kalt die Liebkoſungen ſeiner Gattin und Kin-
der; verſchmaͤhte, unterm Vorwand einer Un-
paͤslichkeit, ſein kleines Abendbrod, und hielt
ſelbſt ſeine Betſtunde ohne Freudigkeit.
Die Ruh ſeiner Seele, ſeine feſte Zuverſicht
auf goͤttliche Gnade war verſchwunden. Tau-
ſendmal las er in der Bibel das zwei und
zwanzigſte Kapitel des erſten Buch Moſis von
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 486. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/494>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.