Gelassenheit mochte nie die Lieblings-Tu- gend unsers Lieutenants seyn; wenigstens bracht' er sie heute nicht in Ausübung. Er schmälte, fluchte, tobte -- jezt auf den Bur- schen, der nicht laut genug zälte; jezt auf die Lichter, die nicht hell genug branten; jezt auf dem Queue, der nicht scharf genug ab- stieß. Alles das half ihm freilich nichts; aber er kühlte doch sein Müthchen dran ab, und brachte sich zugleich um den lezten, elenden, unsichern Trost im Spiel-Verlust -- um das Mitleid der Zuschauer.
Ohnweit des Billards, in einer Ecke des Zimmers, saß an einem kleinen Tischgen der Hauptmann W*, Offizier bei einem ganz an- dern Regiment, und trank ein Glas Limona- de. Es war ein Mann von mittlern Jahren, von ernstem, doch zutraulichem Gesichte. Er hatte noch kein Wort mit den übrigen Anwesen- den gesprochen; sondern schien ganz seinen eig- nen Gedanken nachzuhängen. Selbst aufs Spiel warf er nur selten einen gleichgültigen
Gelaſſenheit mochte nie die Lieblings-Tu- gend unſers Lieutenants ſeyn; wenigſtens bracht' er ſie heute nicht in Ausuͤbung. Er ſchmaͤlte, fluchte, tobte — jezt auf den Bur- ſchen, der nicht laut genug zaͤlte; jezt auf die Lichter, die nicht hell genug branten; jezt auf dem Queue, der nicht ſcharf genug ab- ſtieß. Alles das half ihm freilich nichts; aber er kuͤhlte doch ſein Muͤthchen dran ab, und brachte ſich zugleich um den lezten, elenden, unſichern Troſt im Spiel-Verluſt — um das Mitleid der Zuſchauer.
Ohnweit des Billards, in einer Ecke des Zimmers, ſaß an einem kleinen Tiſchgen der Hauptmann W*, Offizier bei einem ganz an- dern Regiment, und trank ein Glas Limona- de. Es war ein Mann von mittlern Jahren, von ernſtem, doch zutraulichem Geſichte. Er hatte noch kein Wort mit den uͤbrigen Anweſen- den geſprochen; ſondern ſchien ganz ſeinen eig- nen Gedanken nachzuhaͤngen. Selbſt aufs Spiel warf er nur ſelten einen gleichguͤltigen
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Gelaſſenheit mochte nie die Lieblings-Tu-
gend unſers Lieutenants ſeyn; wenigſtens
bracht' er ſie heute nicht in Ausuͤbung. Er
ſchmaͤlte, fluchte, tobte — jezt auf den Bur-
ſchen, der nicht laut genug zaͤlte; jezt auf die
Lichter, die nicht hell genug branten; jezt
auf dem Queue, der nicht ſcharf genug ab-
ſtieß. Alles das half ihm freilich nichts; aber
er kuͤhlte doch ſein Muͤthchen dran ab, und
brachte ſich zugleich um den lezten, elenden,
unſichern Troſt im Spiel-Verluſt — um das
Mitleid der Zuſchauer.
Ohnweit des Billards, in einer Ecke des
Zimmers, ſaß an einem kleinen Tiſchgen der
Hauptmann W*, Offizier bei einem ganz an-
dern Regiment, und trank ein Glas Limona-
de. Es war ein Mann von mittlern Jahren,
von ernſtem, doch zutraulichem Geſichte. Er
hatte noch kein Wort mit den uͤbrigen Anweſen-
den geſprochen; ſondern ſchien ganz ſeinen eig-
nen Gedanken nachzuhaͤngen. Selbſt aufs
Spiel warf er nur ſelten einen gleichguͤltigen
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Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 461. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/469>, abgerufen am 23.11.2024.
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