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Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796.

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ten sie des andern Morgens zum augenschein-
lichem Unterricht gebraucht werden.

Dieser anatomische Saal stieß an Junkers
Studierzimmer. Gegen Mitternacht, als der
Professor noch ruhig an seinem Schreibetische
saß und arbeitete, vernahm er nebenan ein
großes Getöse. Jn der Besorgnis, daß viel-
leicht Kazzen über seine Leichname gekommen
seyn dürften, sonst von jeder andern abergläu-
bischen Vermuthung frei, stand er auf, um
selbst nachzusehen, was es denn gäbe. Als
er mit dem Lichte im Saal hinein trat, staunt'
er ein wenig, als er das Tuch, welches die
Leichname bedecken sollte, ganz verrissen fand;
staunte noch mehr, als er dasselbe aufhob, und
einen dieser Körper vermißte. Die Fenster
waren zu, die Thüren verschlossen; ein Dieb-
stahl schien weder wahrscheinlich noch möglich
zu seyn. Junker blickte im ganzen Saal um-
her, und ein seiner Menschheit wohl verzeih-
licher Schauder überlief ihn, als er in einem
Winkel den angeblichen Leichnam ganz geduckt

D d 3

ten ſie des andern Morgens zum augenſchein-
lichem Unterricht gebraucht werden.

Dieſer anatomiſche Saal ſtieß an Junkers
Studierzimmer. Gegen Mitternacht, als der
Profeſſor noch ruhig an ſeinem Schreibetiſche
ſaß und arbeitete, vernahm er nebenan ein
großes Getoͤſe. Jn der Beſorgnis, daß viel-
leicht Kazzen uͤber ſeine Leichname gekommen
ſeyn duͤrften, ſonſt von jeder andern aberglaͤu-
biſchen Vermuthung frei, ſtand er auf, um
ſelbſt nachzuſehen, was es denn gaͤbe. Als
er mit dem Lichte im Saal hinein trat, ſtaunt'
er ein wenig, als er das Tuch, welches die
Leichname bedecken ſollte, ganz verriſſen fand;
ſtaunte noch mehr, als er daſſelbe aufhob, und
einen dieſer Koͤrper vermißte. Die Fenſter
waren zu, die Thuͤren verſchloſſen; ein Dieb-
ſtahl ſchien weder wahrſcheinlich noch moͤglich
zu ſeyn. Junker blickte im ganzen Saal um-
her, und ein ſeiner Menſchheit wohl verzeih-
licher Schauder uͤberlief ihn, als er in einem
Winkel den angeblichen Leichnam ganz geduckt

D d 3
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[421/0429] ten ſie des andern Morgens zum augenſchein- lichem Unterricht gebraucht werden. Dieſer anatomiſche Saal ſtieß an Junkers Studierzimmer. Gegen Mitternacht, als der Profeſſor noch ruhig an ſeinem Schreibetiſche ſaß und arbeitete, vernahm er nebenan ein großes Getoͤſe. Jn der Beſorgnis, daß viel- leicht Kazzen uͤber ſeine Leichname gekommen ſeyn duͤrften, ſonſt von jeder andern aberglaͤu- biſchen Vermuthung frei, ſtand er auf, um ſelbſt nachzuſehen, was es denn gaͤbe. Als er mit dem Lichte im Saal hinein trat, ſtaunt' er ein wenig, als er das Tuch, welches die Leichname bedecken ſollte, ganz verriſſen fand; ſtaunte noch mehr, als er daſſelbe aufhob, und einen dieſer Koͤrper vermißte. Die Fenſter waren zu, die Thuͤren verſchloſſen; ein Dieb- ſtahl ſchien weder wahrſcheinlich noch moͤglich zu ſeyn. Junker blickte im ganzen Saal um- her, und ein ſeiner Menſchheit wohl verzeih- licher Schauder uͤberlief ihn, als er in einem Winkel den angeblichen Leichnam ganz geduckt D d 3

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Zitationshilfe: Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 421. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/429>, abgerufen am 24.11.2024.