er niemals noch am Tage gesehn, konnte in der Nacht desto minder Weg und Steg erkennen. Bald kam er von der rechten Straße ab; Berg auf, Berg abwärts mußt' er mehr stolpern als gehen. Unausgeruht, und einer solchen Wanderschaft ungewohnt, ermüdete er bald. Kaum sah er die Hand vorm Auge; kaum wollten seine Füße sich noch heben. Auf einem Hügel, den er wohl fühlte, doch auf welchem er sich nicht zu besehn vermochte, warf er sich endlich nieder. Hier beschloß er den Morgen abzuwarten. Hier erneuerte er seine Reue über versäumte Gelegenheit zur Verbesserung seiner Umstände. Nacht, Finsterniß und Mü- digkeit wirkten. Er schlief ein.
Drei Stunden mocht' er so gelegen haben. Die Sonne war indeß aufgegangen; ihr war- mer Stral und das Lied der Vögel weckten den Schläfer. Er schlug die Augen auf, dehnte seine Arme, sah über sich, und sah -- wer faßt hier sein Schrecken und sein tausendfaches Gefühl? -- sah, daß er grad' unterm --
D d
er niemals noch am Tage geſehn, konnte in der Nacht deſto minder Weg und Steg erkennen. Bald kam er von der rechten Straße ab; Berg auf, Berg abwaͤrts mußt' er mehr ſtolpern als gehen. Unausgeruht, und einer ſolchen Wanderſchaft ungewohnt, ermuͤdete er bald. Kaum ſah er die Hand vorm Auge; kaum wollten ſeine Fuͤße ſich noch heben. Auf einem Huͤgel, den er wohl fuͤhlte, doch auf welchem er ſich nicht zu beſehn vermochte, warf er ſich endlich nieder. Hier beſchloß er den Morgen abzuwarten. Hier erneuerte er ſeine Reue uͤber verſaͤumte Gelegenheit zur Verbeſſerung ſeiner Umſtaͤnde. Nacht, Finſterniß und Muͤ- digkeit wirkten. Er ſchlief ein.
Drei Stunden mocht' er ſo gelegen haben. Die Sonne war indeß aufgegangen; ihr war- mer Stral und das Lied der Voͤgel weckten den Schlaͤfer. Er ſchlug die Augen auf, dehnte ſeine Arme, ſah uͤber ſich, und ſah — wer faßt hier ſein Schrecken und ſein tauſendfaches Gefuͤhl? — ſah, daß er grad' unterm —
D d
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0425"n="417"/>
er niemals noch am Tage geſehn, konnte in der<lb/>
Nacht deſto minder Weg und Steg erkennen.<lb/>
Bald kam er von der rechten Straße ab; Berg<lb/>
auf, Berg abwaͤrts mußt' er mehr ſtolpern<lb/>
als gehen. Unausgeruht, und einer ſolchen<lb/>
Wanderſchaft ungewohnt, ermuͤdete er bald.<lb/>
Kaum ſah er die Hand vorm Auge; kaum<lb/>
wollten ſeine Fuͤße ſich noch heben. Auf einem<lb/>
Huͤgel, den er wohl fuͤhlte, doch auf welchem<lb/>
er ſich nicht zu beſehn vermochte, warf er ſich<lb/>
endlich nieder. Hier beſchloß er den Morgen<lb/>
abzuwarten. Hier erneuerte er ſeine Reue<lb/>
uͤber verſaͤumte Gelegenheit zur Verbeſſerung<lb/>ſeiner Umſtaͤnde. Nacht, Finſterniß und Muͤ-<lb/>
digkeit wirkten. Er ſchlief ein.</p><lb/><p>Drei Stunden mocht' er ſo gelegen haben.<lb/>
Die Sonne war indeß aufgegangen; ihr war-<lb/>
mer Stral und das Lied der Voͤgel weckten den<lb/>
Schlaͤfer. Er ſchlug die Augen auf, dehnte<lb/>ſeine Arme, ſah uͤber ſich, und ſah — wer<lb/>
faßt hier ſein Schrecken und ſein tauſendfaches<lb/>
Gefuͤhl? —ſah, daß er grad' unterm —<lb/><fwplace="bottom"type="sig">D d</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[417/0425]
er niemals noch am Tage geſehn, konnte in der
Nacht deſto minder Weg und Steg erkennen.
Bald kam er von der rechten Straße ab; Berg
auf, Berg abwaͤrts mußt' er mehr ſtolpern
als gehen. Unausgeruht, und einer ſolchen
Wanderſchaft ungewohnt, ermuͤdete er bald.
Kaum ſah er die Hand vorm Auge; kaum
wollten ſeine Fuͤße ſich noch heben. Auf einem
Huͤgel, den er wohl fuͤhlte, doch auf welchem
er ſich nicht zu beſehn vermochte, warf er ſich
endlich nieder. Hier beſchloß er den Morgen
abzuwarten. Hier erneuerte er ſeine Reue
uͤber verſaͤumte Gelegenheit zur Verbeſſerung
ſeiner Umſtaͤnde. Nacht, Finſterniß und Muͤ-
digkeit wirkten. Er ſchlief ein.
Drei Stunden mocht' er ſo gelegen haben.
Die Sonne war indeß aufgegangen; ihr war-
mer Stral und das Lied der Voͤgel weckten den
Schlaͤfer. Er ſchlug die Augen auf, dehnte
ſeine Arme, ſah uͤber ſich, und ſah — wer
faßt hier ſein Schrecken und ſein tauſendfaches
Gefuͤhl? — ſah, daß er grad' unterm —
D d
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/425>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.