dete ihr, daß er Abschied zu nehmen komme. -- "Nur noch einen Tag also" rief sie, und schlang ihren Arm um ihn. Sie wartete nicht, bis er sie küssen würde; sie kam ihm so brün- stig zuvor, daß der Unglückliche wirklich auf zwei Augenblicke vergaß, in wessen Armen er sich befände.
Aber bald ermannt' er sich. -- "Weg mit deinen Küssen! Kennst du diese Hand?" so rief er, indem er sich loswand, und den fa- talen Brief ihr darbot; sie erkannte densel- ben, bebte, wollte reden, stammelte, schwieg. --"Nun so nimm dann diesenEinspruch "hin, eh ich noch fort nach Ostindien reise." -- Ein scharfes Messer durchstieß ihr rasch Brust und Herz. -- "Jch hab' es verdient!" stöhnte sie mühsam, sank und starb.
Der Jüngling eilte unbemerkt hinweg und zum Richter. -- "Gestrenger Herr, (war seine Anrede) "wenn ein Räuber mir mein "ganzes Vermögen raubt; wenn ich ihn da- "bei finde und tödte; bin ich des Todes
dete ihr, daß er Abſchied zu nehmen komme. — „Nur noch einen Tag alſo“ rief ſie, und ſchlang ihren Arm um ihn. Sie wartete nicht, bis er ſie kuͤſſen wuͤrde; ſie kam ihm ſo bruͤn- ſtig zuvor, daß der Ungluͤckliche wirklich auf zwei Augenblicke vergaß, in weſſen Armen er ſich befaͤnde.
Aber bald ermannt' er ſich. — „Weg mit deinen Kuͤſſen! Kennſt du dieſe Hand?“ ſo rief er, indem er ſich loswand, und den fa- talen Brief ihr darbot; ſie erkannte denſel- ben, bebte, wollte reden, ſtammelte, ſchwieg. —„Nun ſo nimm dann dieſenEinſpruch „hin, eh ich noch fort nach Oſtindien reiſe.“ — Ein ſcharfes Meſſer durchſtieß ihr raſch Bruſt und Herz. — „Jch hab' es verdient!“ ſtoͤhnte ſie muͤhſam, ſank und ſtarb.
Der Juͤngling eilte unbemerkt hinweg und zum Richter. — „Geſtrenger Herr, (war ſeine Anrede) „wenn ein Raͤuber mir mein „ganzes Vermoͤgen raubt; wenn ich ihn da- „bei finde und toͤdte; bin ich des Todes
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dete ihr, daß er Abſchied zu nehmen komme.
— „Nur noch einen Tag alſo“ rief ſie, und
ſchlang ihren Arm um ihn. Sie wartete nicht,
bis er ſie kuͤſſen wuͤrde; ſie kam ihm ſo bruͤn-
ſtig zuvor, daß der Ungluͤckliche wirklich auf
zwei Augenblicke vergaß, in weſſen Armen er
ſich befaͤnde.
Aber bald ermannt' er ſich. — „Weg mit
deinen Kuͤſſen! Kennſt du dieſe Hand?“ ſo
rief er, indem er ſich loswand, und den fa-
talen Brief ihr darbot; ſie erkannte denſel-
ben, bebte, wollte reden, ſtammelte, ſchwieg.
—„Nun ſo nimm dann dieſenEinſpruch
„hin, eh ich noch fort nach Oſtindien reiſe.“
— Ein ſcharfes Meſſer durchſtieß ihr raſch
Bruſt und Herz. — „Jch hab' es verdient!“
ſtoͤhnte ſie muͤhſam, ſank und ſtarb.
Der Juͤngling eilte unbemerkt hinweg und
zum Richter. — „Geſtrenger Herr, (war
ſeine Anrede) „wenn ein Raͤuber mir mein
„ganzes Vermoͤgen raubt; wenn ich ihn da-
„bei finde und toͤdte; bin ich des Todes
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Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/39>, abgerufen am 23.11.2024.
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