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Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796.

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ner Leser sie bereits im Vergleich der übri-
gen etwas lang erfanden. Aber wenigstens
hab' ich solche nicht absichtlich verlängert. Aus
einem handschriftlichen Aufsaz, von guter
Quelle mir mitgetheilt, oft mit wörtlichem
Extrakt der Akten begleitet, hab' ich sie gezo-
gen. Noch manchen kleinen Zug hätte ich zwar
vielleicht weglaßen, manche Begebenheit in ihr
stärker zusammen drängen können; aber dann
besorgt' ich auch jenen Stempel zu verwischen,
welcher der Wahrheit immer vor der blos-
sen Erdichtung einen merklichen Vorzug er-
theilt, und den ich grade hier hauptsächlich
zu schonen wünschte.

R. scheint mir ein merkwürdiges Beispiel
zu seyn, wie unsäglich schnell der Weg des La-
sters bergabwärts geht; oder vielmehr: wel-
che, im hohen Grade böse, That selbst derjenige
begehen, -- wißentlich begehen kann, der
immer noch nichts weniger als ein eigentli-
cher Bösewicht ist. -- Ein Freund, dem ich
diese Erzählung in der Handschrift wies, schalt
den Geiz als den Urquell von R's Verderben.

ner Leſer ſie bereits im Vergleich der uͤbri-
gen etwas lang erfanden. Aber wenigſtens
hab' ich ſolche nicht abſichtlich verlaͤngert. Aus
einem handſchriftlichen Aufſaz, von guter
Quelle mir mitgetheilt, oft mit woͤrtlichem
Extrakt der Akten begleitet, hab' ich ſie gezo-
gen. Noch manchen kleinen Zug haͤtte ich zwar
vielleicht weglaßen, manche Begebenheit in ihr
ſtaͤrker zuſammen draͤngen koͤnnen; aber dann
beſorgt' ich auch jenen Stempel zu verwiſchen,
welcher der Wahrheit immer vor der bloſ-
ſen Erdichtung einen merklichen Vorzug er-
theilt, und den ich grade hier hauptſaͤchlich
zu ſchonen wuͤnſchte.

R. ſcheint mir ein merkwuͤrdiges Beiſpiel
zu ſeyn, wie unſaͤglich ſchnell der Weg des La-
ſters bergabwaͤrts geht; oder vielmehr: wel-
che, im hohen Grade boͤſe, That ſelbſt derjenige
begehen, — wißentlich begehen kann, der
immer noch nichts weniger als ein eigentli-
cher Boͤſewicht iſt. — Ein Freund, dem ich
dieſe Erzaͤhlung in der Handſchrift wies, ſchalt
den Geiz als den Urquell von R's Verderben.

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[316/0324] ner Leſer ſie bereits im Vergleich der uͤbri- gen etwas lang erfanden. Aber wenigſtens hab' ich ſolche nicht abſichtlich verlaͤngert. Aus einem handſchriftlichen Aufſaz, von guter Quelle mir mitgetheilt, oft mit woͤrtlichem Extrakt der Akten begleitet, hab' ich ſie gezo- gen. Noch manchen kleinen Zug haͤtte ich zwar vielleicht weglaßen, manche Begebenheit in ihr ſtaͤrker zuſammen draͤngen koͤnnen; aber dann beſorgt' ich auch jenen Stempel zu verwiſchen, welcher der Wahrheit immer vor der bloſ- ſen Erdichtung einen merklichen Vorzug er- theilt, und den ich grade hier hauptſaͤchlich zu ſchonen wuͤnſchte. R. ſcheint mir ein merkwuͤrdiges Beiſpiel zu ſeyn, wie unſaͤglich ſchnell der Weg des La- ſters bergabwaͤrts geht; oder vielmehr: wel- che, im hohen Grade boͤſe, That ſelbſt derjenige begehen, — wißentlich begehen kann, der immer noch nichts weniger als ein eigentli- cher Boͤſewicht iſt. — Ein Freund, dem ich dieſe Erzaͤhlung in der Handſchrift wies, ſchalt den Geiz als den Urquell von R's Verderben.

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Zitationshilfe: Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/324>, abgerufen am 23.11.2024.