feuchtes war, aufbehalten zu werden. Unter der Erde hatte R. nun schon bis im zwanzig- sten Monat geschmachtet; sein jezziges Gemach war gleich neben den Zimmern des Kerkermei- sters selbst, und hatte Tageslicht, obschon durch dicht vergitterte Fenster. R. dankte seinem Wohlthäter von ganzer Seele. Als ihn der- selbe beim Weggehen fragte: Ob er vielleicht nach irgend einer Erquickung sehr verlange? als er im voraus versprach, ihm solche, wo immer möglich, zu verschaffen, -- da stockte R. ein wenig, und gestand dann: "Wenn er, auf seinem Stroh hingestreckt, oft seines Jam- mers kein Ende sähe, hab' er zuweilen ge- wünscht, nur mit einigen Tropfen des gering- sten Weines sich Stärkung zu verschaffen." -- "Sie sollen dessen eine Flasche, und nicht vom "geringsten haben!" fiel ihm Falk in die Rede. "Doch muß ich ihnen solchen selbst überbringen; "und das kan erst in drei oder vier Tagen ge- "schehn, denn auf so lange verreis' ich heute "noch." -- Nicht ohne Ursache nahm er die-
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feuchtes war, aufbehalten zu werden. Unter der Erde hatte R. nun ſchon bis im zwanzig- ſten Monat geſchmachtet; ſein jezziges Gemach war gleich neben den Zimmern des Kerkermei- ſters ſelbſt, und hatte Tageslicht, obſchon durch dicht vergitterte Fenſter. R. dankte ſeinem Wohlthaͤter von ganzer Seele. Als ihn der- ſelbe beim Weggehen fragte: Ob er vielleicht nach irgend einer Erquickung ſehr verlange? als er im voraus verſprach, ihm ſolche, wo immer moͤglich, zu verſchaffen, — da ſtockte R. ein wenig, und geſtand dann: „Wenn er, auf ſeinem Stroh hingeſtreckt, oft ſeines Jam- mers kein Ende ſaͤhe, hab' er zuweilen ge- wuͤnſcht, nur mit einigen Tropfen des gering- ſten Weines ſich Staͤrkung zu verſchaffen.“ — „Sie ſollen deſſen eine Flaſche, und nicht vom „geringſten haben!“ fiel ihm Falk in die Rede. „Doch muß ich ihnen ſolchen ſelbſt uͤberbringen; „und das kan erſt in drei oder vier Tagen ge- „ſchehn, denn auf ſo lange verreiſ' ich heute „noch.“ — Nicht ohne Urſache nahm er die-
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feuchtes war, aufbehalten zu werden. Unter
der Erde hatte R. nun ſchon bis im zwanzig-
ſten Monat geſchmachtet; ſein jezziges Gemach
war gleich neben den Zimmern des Kerkermei-
ſters ſelbſt, und hatte Tageslicht, obſchon
durch dicht vergitterte Fenſter. R. dankte ſeinem
Wohlthaͤter von ganzer Seele. Als ihn der-
ſelbe beim Weggehen fragte: Ob er vielleicht
nach irgend einer Erquickung ſehr verlange?
als er im voraus verſprach, ihm ſolche, wo
immer moͤglich, zu verſchaffen, — da ſtockte
R. ein wenig, und geſtand dann: „Wenn er,
auf ſeinem Stroh hingeſtreckt, oft ſeines Jam-
mers kein Ende ſaͤhe, hab' er zuweilen ge-
wuͤnſcht, nur mit einigen Tropfen des gering-
ſten Weines ſich Staͤrkung zu verſchaffen.“ —
„Sie ſollen deſſen eine Flaſche, und nicht vom
„geringſten haben!“ fiel ihm Falk in die Rede.
„Doch muß ich ihnen ſolchen ſelbſt uͤberbringen;
„und das kan erſt in drei oder vier Tagen ge-
„ſchehn, denn auf ſo lange verreiſ' ich heute
„noch.“ — Nicht ohne Urſache nahm er die-
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Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/315>, abgerufen am 23.11.2024.
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