Wohnung wechselte er rasch die Kleider. Ein Pferd stand schon gesattelt. Ein kleiner Man- telsack war schon gepackt. Eh es noch halb vier Uhr schlug, war R. bereits, unangehalten und unverdächtig, zum Thore hinaus; daß er dann sein Roß wacker angrif, läßt sich denken.
Ungestört blieb der Leichnam den Ueberrest des Tages und die Nacht hindurch liegen. Ein paar Personen, die bei der Witwe zu thun hat- ten, gingen verdachtlos fort, da sie die Thüre verschlossen fanden. Erst am Morgen, als ihre ältre Bedienung kam, klopfte, keine Antwort erhielt, kein Leben drinnen spürte, fiel dies auf. Nachbarn kamen herbei. Man spreng- te die Thüre; man fand die Hausfrau in ih- rem Blute; das Schrecken bei diesem Anblick, der Verdacht, den man sofort gegen den Bräutigam faßte, die Gewisheit, als man zu ihm eilte, ihn nirgends fand, von seinem Bur- schen erfuhr, daß er schon seit gestern Nachmit- tags fehle; auch bald drauf in seinem Gemach einen versteckten Rock mit einigen Blutflecken
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Wohnung wechſelte er raſch die Kleider. Ein Pferd ſtand ſchon geſattelt. Ein kleiner Man- telſack war ſchon gepackt. Eh es noch halb vier Uhr ſchlug, war R. bereits, unangehalten und unverdaͤchtig, zum Thore hinaus; daß er dann ſein Roß wacker angrif, laͤßt ſich denken.
Ungeſtoͤrt blieb der Leichnam den Ueberreſt des Tages und die Nacht hindurch liegen. Ein paar Perſonen, die bei der Witwe zu thun hat- ten, gingen verdachtlos fort, da ſie die Thuͤre verſchloſſen fanden. Erſt am Morgen, als ihre aͤltre Bedienung kam, klopfte, keine Antwort erhielt, kein Leben drinnen ſpuͤrte, fiel dies auf. Nachbarn kamen herbei. Man ſpreng- te die Thuͤre; man fand die Hausfrau in ih- rem Blute; das Schrecken bei dieſem Anblick, der Verdacht, den man ſofort gegen den Braͤutigam faßte, die Gewisheit, als man zu ihm eilte, ihn nirgends fand, von ſeinem Bur- ſchen erfuhr, daß er ſchon ſeit geſtern Nachmit- tags fehle; auch bald drauf in ſeinem Gemach einen verſteckten Rock mit einigen Blutflecken
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Wohnung wechſelte er raſch die Kleider. Ein
Pferd ſtand ſchon geſattelt. Ein kleiner Man-
telſack war ſchon gepackt. Eh es noch halb
vier Uhr ſchlug, war R. bereits, unangehalten
und unverdaͤchtig, zum Thore hinaus; daß er
dann ſein Roß wacker angrif, laͤßt ſich denken.
Ungeſtoͤrt blieb der Leichnam den Ueberreſt
des Tages und die Nacht hindurch liegen. Ein
paar Perſonen, die bei der Witwe zu thun hat-
ten, gingen verdachtlos fort, da ſie die Thuͤre
verſchloſſen fanden. Erſt am Morgen, als ihre
aͤltre Bedienung kam, klopfte, keine Antwort
erhielt, kein Leben drinnen ſpuͤrte, fiel dies
auf. Nachbarn kamen herbei. Man ſpreng-
te die Thuͤre; man fand die Hausfrau in ih-
rem Blute; das Schrecken bei dieſem Anblick,
der Verdacht, den man ſofort gegen den
Braͤutigam faßte, die Gewisheit, als man zu
ihm eilte, ihn nirgends fand, von ſeinem Bur-
ſchen erfuhr, daß er ſchon ſeit geſtern Nachmit-
tags fehle; auch bald drauf in ſeinem Gemach
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Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/283>, abgerufen am 23.11.2024.
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