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Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796.

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Zug bereits in Ordnung sezte; und ihr Mann
mit thränendem Auge sie zum leztenmal um-
armen wolte; da glaubte sie freilich an keine
Rettung mehr. Sie riß sich von ihm los,
und mit der ganzen Fülle der Verzweiflung,
indem sie ihr jüngstes Kind auf dem Arm trug,
das nächste an der Hand fortriß, und den
andern ihr zu folgen gebot, flog sie zum
Schlosse hin, und verlangte vor ihrem Fürsten
gelassen zu werden.

Die Wache verwehrte ihr den Zutritt, denn
sie glaubte, eine Wahnsinnige in ihr zu sehen.
Aber eine freundschaftliche Seele flüsterte ihr
zu: daß die Marggräfin so eben im Schlos-
garten sich befände; alsbald eilte die Aermste
dorthin, fand die Fürstin, und stürzte vor ihr
aufs Knie hin. Auch hier von ihren Kindern
umringt, beschwor sie bei diesen unglücklichen
Geschöpfen, bei dem noch unglücklichern, das
unter ihrem Hrrzen liege, und in wenigen Ta-
gen das Licht erblicken solle, bei ihrem Jam-
mer ohne Maas und Namen; bei allem, was

Zug bereits in Ordnung ſezte; und ihr Mann
mit thraͤnendem Auge ſie zum leztenmal um-
armen wolte; da glaubte ſie freilich an keine
Rettung mehr. Sie riß ſich von ihm los,
und mit der ganzen Fuͤlle der Verzweiflung,
indem ſie ihr juͤngſtes Kind auf dem Arm trug,
das naͤchſte an der Hand fortriß, und den
andern ihr zu folgen gebot, flog ſie zum
Schloſſe hin, und verlangte vor ihrem Fuͤrſten
gelaſſen zu werden.

Die Wache verwehrte ihr den Zutritt, denn
ſie glaubte, eine Wahnſinnige in ihr zu ſehen.
Aber eine freundſchaftliche Seele fluͤſterte ihr
zu: daß die Marggraͤfin ſo eben im Schlos-
garten ſich befaͤnde; alsbald eilte die Aermſte
dorthin, fand die Fuͤrſtin, und ſtuͤrzte vor ihr
aufs Knie hin. Auch hier von ihren Kindern
umringt, beſchwor ſie bei dieſen ungluͤcklichen
Geſchoͤpfen, bei dem noch ungluͤcklichern, das
unter ihrem Hrrzen liege, und in wenigen Ta-
gen das Licht erblicken ſolle, bei ihrem Jam-
mer ohne Maas und Namen; bei allem, was

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[170/0178] Zug bereits in Ordnung ſezte; und ihr Mann mit thraͤnendem Auge ſie zum leztenmal um- armen wolte; da glaubte ſie freilich an keine Rettung mehr. Sie riß ſich von ihm los, und mit der ganzen Fuͤlle der Verzweiflung, indem ſie ihr juͤngſtes Kind auf dem Arm trug, das naͤchſte an der Hand fortriß, und den andern ihr zu folgen gebot, flog ſie zum Schloſſe hin, und verlangte vor ihrem Fuͤrſten gelaſſen zu werden. Die Wache verwehrte ihr den Zutritt, denn ſie glaubte, eine Wahnſinnige in ihr zu ſehen. Aber eine freundſchaftliche Seele fluͤſterte ihr zu: daß die Marggraͤfin ſo eben im Schlos- garten ſich befaͤnde; alsbald eilte die Aermſte dorthin, fand die Fuͤrſtin, und ſtuͤrzte vor ihr aufs Knie hin. Auch hier von ihren Kindern umringt, beſchwor ſie bei dieſen ungluͤcklichen Geſchoͤpfen, bei dem noch ungluͤcklichern, das unter ihrem Hrrzen liege, und in wenigen Ta- gen das Licht erblicken ſolle, bei ihrem Jam- mer ohne Maas und Namen; bei allem, was

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Zitationshilfe: Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/178>, abgerufen am 23.11.2024.