Hausgesinde; sein Geständniß sezte alle außer sich; nur Er blieb gelassen, und schickte selbst nach den Gerichten, denen er sich willig gefan- gen gab; die ganze Zeit seiner Haft hindurch den ersten Muth beibehielt, und endlich seine Strafe mit einer Unerschrockenheit litt, die jeden Zuschauer zum Mitleid bewegte.
Wie viel hier Stoff zur Ausschmückung und Verschönerung vorräthig wäre, sieht jeder leicht. Mit Vorbeilassung alles dessen frag' ich blos: Wo ist derjenige, der mir unwider- sprechlich sagen kann, daß dieser arme Jnqui- sit gut oder böse, mitleidig oder grausam ge- handelt habe? Ob ein stärkerer Beweis gut- gemeinter Liebe möglich gewesen sey? und ob nicht ein solcher Fehltritt, der vor mensch- lichem Richterstuhl allerdings des Todes werth war, vor jenem höhern Tribunal ein ver- zeihlicher, wo nicht gar verdienstli- cher Jrrthum gewesen seyn dürfte. -- O ihr Kenner des menschlichen Herzens! ihr wollt zuweilen ein Fältchen desselben entwi-
Hausgeſinde; ſein Geſtaͤndniß ſezte alle außer ſich; nur Er blieb gelaſſen, und ſchickte ſelbſt nach den Gerichten, denen er ſich willig gefan- gen gab; die ganze Zeit ſeiner Haft hindurch den erſten Muth beibehielt, und endlich ſeine Strafe mit einer Unerſchrockenheit litt, die jeden Zuſchauer zum Mitleid bewegte.
Wie viel hier Stoff zur Ausſchmuͤckung und Verſchoͤnerung vorraͤthig waͤre, ſieht jeder leicht. Mit Vorbeilaſſung alles deſſen frag' ich blos: Wo iſt derjenige, der mir unwider- ſprechlich ſagen kann, daß dieſer arme Jnqui- ſit gut oder boͤſe, mitleidig oder grauſam ge- handelt habe? Ob ein ſtaͤrkerer Beweis gut- gemeinter Liebe moͤglich geweſen ſey? und ob nicht ein ſolcher Fehltritt, der vor menſch- lichem Richterſtuhl allerdings des Todes werth war, vor jenem hoͤhern Tribunal ein ver- zeihlicher, wo nicht gar verdienſtli- cher Jrrthum geweſen ſeyn duͤrfte. — O ihr Kenner des menſchlichen Herzens! ihr wollt zuweilen ein Faͤltchen deſſelben entwi-
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Hausgeſinde; ſein Geſtaͤndniß ſezte alle außer
ſich; nur Er blieb gelaſſen, und ſchickte ſelbſt
nach den Gerichten, denen er ſich willig gefan-
gen gab; die ganze Zeit ſeiner Haft hindurch
den erſten Muth beibehielt, und endlich ſeine
Strafe mit einer Unerſchrockenheit litt, die
jeden Zuſchauer zum Mitleid bewegte.
Wie viel hier Stoff zur Ausſchmuͤckung
und Verſchoͤnerung vorraͤthig waͤre, ſieht jeder
leicht. Mit Vorbeilaſſung alles deſſen frag'
ich blos: Wo iſt derjenige, der mir unwider-
ſprechlich ſagen kann, daß dieſer arme Jnqui-
ſit gut oder boͤſe, mitleidig oder grauſam ge-
handelt habe? Ob ein ſtaͤrkerer Beweis gut-
gemeinter Liebe moͤglich geweſen ſey? und
ob nicht ein ſolcher Fehltritt, der vor menſch-
lichem Richterſtuhl allerdings des Todes werth
war, vor jenem hoͤhern Tribunal ein ver-
zeihlicher, wo nicht gar verdienſtli-
cher Jrrthum geweſen ſeyn duͤrfte. —
O ihr Kenner des menſchlichen Herzens! ihr
wollt zuweilen ein Faͤltchen deſſelben entwi-
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Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/14>, abgerufen am 23.11.2024.
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