Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.por; dieselbe sittliche Entrüstung, derselbe Schauder über menschliche Heimtücke, die ihn an der Stallthür übermannt und ihm die Hebestange in die Hand gegeben, stellten sich in seinem Inneren wieder ein; er fühlte, daß er so habe handeln müssen, und daß er die That vorkommenden Falles, was er sich auch im Voraus dagegen sagen möge, wiederholen würde. War demnach sein Gewissen auch ruhig und ohne Vorwurf, so war doch die Hälfte seiner Seele umnachtet, verdüstert, verstört, in Zwiespalt auseinander gerissen. Es war ein gewaltiger Riß hineingekommen in die nicht mehr biegsame, festgewordene Weltanschauung eines bejahrten Mannes. Er sagte einmal zu Wendelin: Wie habe ich am Hinrichtungstage gegen die Todesstrafe gesprochen, das heißt mit anderen Worten: wie habe ich dagegen gemurrt, daß man einen Kornergeorg an den Galgen gebracht! Durch eine wunderbare Fügung ist es so geworden, wie ich wollte. Der Todte wurde belebt in meine Hand gegeben. Gräßliche Heimsuchung des Himmels oder der Hölle! Ich selbst mußte die Todesstrafe an ihm vollziehen, ich selbst mußte eilen, ihn wieder zu hängen! Das war die rein innerliche, psychologische Seite, von welcher, freilich bis an den Kern des Daseins, der Müller angegriffen wurde. Mitten hinein schlug auch noch oft eine ganz äußere Seite ein: die Betrachtung, was die Welt wohl sagen würde, wenn sie von por; dieselbe sittliche Entrüstung, derselbe Schauder über menschliche Heimtücke, die ihn an der Stallthür übermannt und ihm die Hebestange in die Hand gegeben, stellten sich in seinem Inneren wieder ein; er fühlte, daß er so habe handeln müssen, und daß er die That vorkommenden Falles, was er sich auch im Voraus dagegen sagen möge, wiederholen würde. War demnach sein Gewissen auch ruhig und ohne Vorwurf, so war doch die Hälfte seiner Seele umnachtet, verdüstert, verstört, in Zwiespalt auseinander gerissen. Es war ein gewaltiger Riß hineingekommen in die nicht mehr biegsame, festgewordene Weltanschauung eines bejahrten Mannes. Er sagte einmal zu Wendelin: Wie habe ich am Hinrichtungstage gegen die Todesstrafe gesprochen, das heißt mit anderen Worten: wie habe ich dagegen gemurrt, daß man einen Kornergeorg an den Galgen gebracht! Durch eine wunderbare Fügung ist es so geworden, wie ich wollte. Der Todte wurde belebt in meine Hand gegeben. Gräßliche Heimsuchung des Himmels oder der Hölle! Ich selbst mußte die Todesstrafe an ihm vollziehen, ich selbst mußte eilen, ihn wieder zu hängen! Das war die rein innerliche, psychologische Seite, von welcher, freilich bis an den Kern des Daseins, der Müller angegriffen wurde. Mitten hinein schlug auch noch oft eine ganz äußere Seite ein: die Betrachtung, was die Welt wohl sagen würde, wenn sie von <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="7"> <p><pb facs="#f0050"/> por; dieselbe sittliche Entrüstung, derselbe Schauder über menschliche Heimtücke, die ihn an der Stallthür übermannt und ihm die Hebestange in die Hand gegeben, stellten sich in seinem Inneren wieder ein; er fühlte, daß er so habe handeln müssen, und daß er die That vorkommenden Falles, was er sich auch im Voraus dagegen sagen möge, wiederholen würde.</p><lb/> <p>War demnach sein Gewissen auch ruhig und ohne Vorwurf, so war doch die Hälfte seiner Seele umnachtet, verdüstert, verstört, in Zwiespalt auseinander gerissen. Es war ein gewaltiger Riß hineingekommen in die nicht mehr biegsame, festgewordene Weltanschauung eines bejahrten Mannes.</p><lb/> <p>Er sagte einmal zu Wendelin:</p><lb/> <p>Wie habe ich am Hinrichtungstage gegen die Todesstrafe gesprochen, das heißt mit anderen Worten: wie habe ich dagegen gemurrt, daß man einen Kornergeorg an den Galgen gebracht! Durch eine wunderbare Fügung ist es so geworden, wie ich wollte. Der Todte wurde belebt in meine Hand gegeben. Gräßliche Heimsuchung des Himmels oder der Hölle! Ich selbst mußte die Todesstrafe an ihm vollziehen, ich selbst mußte eilen, ihn wieder zu hängen!</p><lb/> <p>Das war die rein innerliche, psychologische Seite, von welcher, freilich bis an den Kern des Daseins, der Müller angegriffen wurde. Mitten hinein schlug auch noch oft eine ganz äußere Seite ein: die Betrachtung, was die Welt wohl sagen würde, wenn sie von<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0050]
por; dieselbe sittliche Entrüstung, derselbe Schauder über menschliche Heimtücke, die ihn an der Stallthür übermannt und ihm die Hebestange in die Hand gegeben, stellten sich in seinem Inneren wieder ein; er fühlte, daß er so habe handeln müssen, und daß er die That vorkommenden Falles, was er sich auch im Voraus dagegen sagen möge, wiederholen würde.
War demnach sein Gewissen auch ruhig und ohne Vorwurf, so war doch die Hälfte seiner Seele umnachtet, verdüstert, verstört, in Zwiespalt auseinander gerissen. Es war ein gewaltiger Riß hineingekommen in die nicht mehr biegsame, festgewordene Weltanschauung eines bejahrten Mannes.
Er sagte einmal zu Wendelin:
Wie habe ich am Hinrichtungstage gegen die Todesstrafe gesprochen, das heißt mit anderen Worten: wie habe ich dagegen gemurrt, daß man einen Kornergeorg an den Galgen gebracht! Durch eine wunderbare Fügung ist es so geworden, wie ich wollte. Der Todte wurde belebt in meine Hand gegeben. Gräßliche Heimsuchung des Himmels oder der Hölle! Ich selbst mußte die Todesstrafe an ihm vollziehen, ich selbst mußte eilen, ihn wieder zu hängen!
Das war die rein innerliche, psychologische Seite, von welcher, freilich bis an den Kern des Daseins, der Müller angegriffen wurde. Mitten hinein schlug auch noch oft eine ganz äußere Seite ein: die Betrachtung, was die Welt wohl sagen würde, wenn sie von
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-15T14:41:19Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-15T14:41:19Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |