Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Bund Schlüssel und ein Messer steckte, und hohe lederne Wasserstiefel an den Beinen. Seht nur, seht! flüsterte Wendelin, seht den Halunken! Er umwickelt die Hufe der Pferde mit Stroh, er will sie stehlen -- mit dem Braunen ist er schon fertig. Als der Müller das hörte, blickte er wie ein Automat flüchtig durch die Thüröffnung. In seiner Seele kochte eine ungeheure Wuth auf. Das also war der Mensch, dem er das Leben wiedergeschenkt, den er auf seine Gefahr hin noch einmal retten; mit Geld versorgen und in eine andere Welt bringen wollte. Der Mensch, dessen Rechtfertigung er noch vor wenigen Stunden Glauben geschenkt! Er hatte genug gesehen. Mit der Hast eines Menschen, der seiner Sinne nicht mehr mächtig, ergriff er eine Hebestange, die in der Ecke lehnte, drückte mit seiner breiten Hand den Wendelin hinter sich zurück und stellte sich drohend auf die Lauer. Wieder verging eine Zeit. Der Kornergeorg zäumte die Pferde, die sich ängstlich geberdeten, und hatte viel damit zu thun, sie zu beruhigen. Manchmal blickte er um sich und wischte mit dem Aermel den Schweiß von seiner Stirne. Dem Müller schienen die Secunden Ewigkeiten. Endlich kam der Rabenvogel heraus, langsam schleichend, die Pferde am Zaume führend. Noch ein Schritt, und er stand dem Müller gegenüber. Bund Schlüssel und ein Messer steckte, und hohe lederne Wasserstiefel an den Beinen. Seht nur, seht! flüsterte Wendelin, seht den Halunken! Er umwickelt die Hufe der Pferde mit Stroh, er will sie stehlen — mit dem Braunen ist er schon fertig. Als der Müller das hörte, blickte er wie ein Automat flüchtig durch die Thüröffnung. In seiner Seele kochte eine ungeheure Wuth auf. Das also war der Mensch, dem er das Leben wiedergeschenkt, den er auf seine Gefahr hin noch einmal retten; mit Geld versorgen und in eine andere Welt bringen wollte. Der Mensch, dessen Rechtfertigung er noch vor wenigen Stunden Glauben geschenkt! Er hatte genug gesehen. Mit der Hast eines Menschen, der seiner Sinne nicht mehr mächtig, ergriff er eine Hebestange, die in der Ecke lehnte, drückte mit seiner breiten Hand den Wendelin hinter sich zurück und stellte sich drohend auf die Lauer. Wieder verging eine Zeit. Der Kornergeorg zäumte die Pferde, die sich ängstlich geberdeten, und hatte viel damit zu thun, sie zu beruhigen. Manchmal blickte er um sich und wischte mit dem Aermel den Schweiß von seiner Stirne. Dem Müller schienen die Secunden Ewigkeiten. Endlich kam der Rabenvogel heraus, langsam schleichend, die Pferde am Zaume führend. Noch ein Schritt, und er stand dem Müller gegenüber. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="5"> <p><pb facs="#f0040"/> Bund Schlüssel und ein Messer steckte, und hohe lederne Wasserstiefel an den Beinen.</p><lb/> <p>Seht nur, seht! flüsterte Wendelin, seht den Halunken! Er umwickelt die Hufe der Pferde mit Stroh, er will sie stehlen — mit dem Braunen ist er schon fertig.</p><lb/> <p>Als der Müller das hörte, blickte er wie ein Automat flüchtig durch die Thüröffnung. In seiner Seele kochte eine ungeheure Wuth auf. Das also war der Mensch, dem er das Leben wiedergeschenkt, den er auf seine Gefahr hin noch einmal retten; mit Geld versorgen und in eine andere Welt bringen wollte. Der Mensch, dessen Rechtfertigung er noch vor wenigen Stunden Glauben geschenkt! Er hatte genug gesehen. Mit der Hast eines Menschen, der seiner Sinne nicht mehr mächtig, ergriff er eine Hebestange, die in der Ecke lehnte, drückte mit seiner breiten Hand den Wendelin hinter sich zurück und stellte sich drohend auf die Lauer.</p><lb/> <p>Wieder verging eine Zeit. Der Kornergeorg zäumte die Pferde, die sich ängstlich geberdeten, und hatte viel damit zu thun, sie zu beruhigen. Manchmal blickte er um sich und wischte mit dem Aermel den Schweiß von seiner Stirne.</p><lb/> <p>Dem Müller schienen die Secunden Ewigkeiten. Endlich kam der Rabenvogel heraus, langsam schleichend, die Pferde am Zaume führend. Noch ein Schritt, und er stand dem Müller gegenüber.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0040]
Bund Schlüssel und ein Messer steckte, und hohe lederne Wasserstiefel an den Beinen.
Seht nur, seht! flüsterte Wendelin, seht den Halunken! Er umwickelt die Hufe der Pferde mit Stroh, er will sie stehlen — mit dem Braunen ist er schon fertig.
Als der Müller das hörte, blickte er wie ein Automat flüchtig durch die Thüröffnung. In seiner Seele kochte eine ungeheure Wuth auf. Das also war der Mensch, dem er das Leben wiedergeschenkt, den er auf seine Gefahr hin noch einmal retten; mit Geld versorgen und in eine andere Welt bringen wollte. Der Mensch, dessen Rechtfertigung er noch vor wenigen Stunden Glauben geschenkt! Er hatte genug gesehen. Mit der Hast eines Menschen, der seiner Sinne nicht mehr mächtig, ergriff er eine Hebestange, die in der Ecke lehnte, drückte mit seiner breiten Hand den Wendelin hinter sich zurück und stellte sich drohend auf die Lauer.
Wieder verging eine Zeit. Der Kornergeorg zäumte die Pferde, die sich ängstlich geberdeten, und hatte viel damit zu thun, sie zu beruhigen. Manchmal blickte er um sich und wischte mit dem Aermel den Schweiß von seiner Stirne.
Dem Müller schienen die Secunden Ewigkeiten. Endlich kam der Rabenvogel heraus, langsam schleichend, die Pferde am Zaume führend. Noch ein Schritt, und er stand dem Müller gegenüber.
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Zitationshilfe: | Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_hoeft_1910/40>, abgerufen am 16.07.2024. |