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Meisel-Heß, Grete: Weiberhaß und Weiberverachtung. Eine Erwiderung auf die in Dr. Otto Weiningers Buche »Geschlecht und Charakter« geäußerten Anschauungen über »Die Frau und ihre Frage«. Wien, 1904.

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Zersprengung über die ganze Welt längst aufgehört haben,
ein "Volk" zu sein. Endlich erscheint mir der Mangel an
Kastengeist nur günstig und wertvoll und "Grenzverwischung"
in diesem Sinne nur ersprießlich.

Von gänzlicher, schier unbegreiflicher Verblendung
zeugt aber der Vorwurf, daß der Jude "gleich dem Weibe"
(die Analogien werden krampfhaft herbeigeholt) im Fremden
"keinen Halt" hat, in ihm "keine Wurzeln schlägt". Symbolisch
erscheine daher "sein Mangel an irgend welcher
Bodenständigkeit in seinem so tiefen Unverständnis für
allen Grundbesitz und seiner Vorliebe für das mobile
Kapital".

Herr des Himmels! Soll man sich vielleicht ankaufen
auf einem beständig zitternden, unterwühlten, bedrohten
Boden?! Ist es gar so "symbolisch", daß die Juden, die in
riesigen Scharen aus Rußland oder Rumänien hinausgetrieben,
die in Kischenew abgeschlachtet und geplündert
wurden, in solchem Boden keine "Wurzeln schlugen", und
daß auch die Juden anderer Länder ihre ewig unterwühlte
Situation erfassen und lieber nach mobilem, in Bewegung
zu setzendem
Kapital trachten, als nach "Bodenständigkeit"?!

Die großen Persönlichkeiten des Judentums werden
natürlich vom Verfasser als solche angezweifelt. Als "fast
jeder Größe entbehrend" bezeichnet er Heine - Heine, der
der Menschheit einen so beseligenden Schatz hinterlassen hat,
einen schier unerschöpflichen Brunnen, in den hineinzutauchen
immer wieder Mut, Trost, Befreiung und Erhebung
gewährt - nicht etwa durch seinen Witz und Sarkasmus,
sondern durch seine nie wieder erreichte, tiefinnige, tief
vergeistigte Lyrik. Als ebenso "überschätzt" betrachtet wird
auch Spinoza. Diese Wertung - besser Entwertung - zu
beurteilen, habe ich zu wenig Wissen. Doch auch da scheint
mir ein terroristisches Aufpflanzen von dem, was gerade

Zersprengung über die ganze Welt längst aufgehört haben,
ein »Volk« zu sein. Endlich erscheint mir der Mangel an
Kastengeist nur günstig und wertvoll und »Grenzverwischung«
in diesem Sinne nur ersprießlich.

Von gänzlicher, schier unbegreiflicher Verblendung
zeugt aber der Vorwurf, daß der Jude »gleich dem Weibe«
(die Analogien werden krampfhaft herbeigeholt) im Fremden
»keinen Halt« hat, in ihm »keine Wurzeln schlägt«. Symbolisch
erscheine daher »sein Mangel an irgend welcher
Bodenständigkeit in seinem so tiefen Unverständnis für
allen Grundbesitz und seiner Vorliebe für das mobile
Kapital«.

Herr des Himmels! Soll man sich vielleicht ankaufen
auf einem beständig zitternden, unterwühlten, bedrohten
Boden?! Ist es gar so »symbolisch«, daß die Juden, die in
riesigen Scharen aus Rußland oder Rumänien hinausgetrieben,
die in Kischenew abgeschlachtet und geplündert
wurden, in solchem Boden keine »Wurzeln schlugen«, und
daß auch die Juden anderer Länder ihre ewig unterwühlte
Situation erfassen und lieber nach mobilem, in Bewegung
zu setzendem
Kapital trachten, als nach »Bodenständigkeit«?!

Die großen Persönlichkeiten des Judentums werden
natürlich vom Verfasser als solche angezweifelt. Als »fast
jeder Größe entbehrend« bezeichnet er Heine – Heine, der
der Menschheit einen so beseligenden Schatz hinterlassen hat,
einen schier unerschöpflichen Brunnen, in den hineinzutauchen
immer wieder Mut, Trost, Befreiung und Erhebung
gewährt – nicht etwa durch seinen Witz und Sarkasmus,
sondern durch seine nie wieder erreichte, tiefinnige, tief
vergeistigte Lyrik. Als ebenso »überschätzt« betrachtet wird
auch Spinoza. Diese Wertung – besser Entwertung – zu
beurteilen, habe ich zu wenig Wissen. Doch auch da scheint
mir ein terroristisches Aufpflanzen von dem, was gerade

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[55/0061] Zersprengung über die ganze Welt längst aufgehört haben, ein »Volk« zu sein. Endlich erscheint mir der Mangel an Kastengeist nur günstig und wertvoll und »Grenzverwischung« in diesem Sinne nur ersprießlich. Von gänzlicher, schier unbegreiflicher Verblendung zeugt aber der Vorwurf, daß der Jude »gleich dem Weibe« (die Analogien werden krampfhaft herbeigeholt) im Fremden »keinen Halt« hat, in ihm »keine Wurzeln schlägt«. Symbolisch erscheine daher »sein Mangel an irgend welcher Bodenständigkeit in seinem so tiefen Unverständnis für allen Grundbesitz und seiner Vorliebe für das mobile Kapital«. Herr des Himmels! Soll man sich vielleicht ankaufen auf einem beständig zitternden, unterwühlten, bedrohten Boden?! Ist es gar so »symbolisch«, daß die Juden, die in riesigen Scharen aus Rußland oder Rumänien hinausgetrieben, die in Kischenew abgeschlachtet und geplündert wurden, in solchem Boden keine »Wurzeln schlugen«, und daß auch die Juden anderer Länder ihre ewig unterwühlte Situation erfassen und lieber nach mobilem, in Bewegung zu setzendem Kapital trachten, als nach »Bodenständigkeit«?! Die großen Persönlichkeiten des Judentums werden natürlich vom Verfasser als solche angezweifelt. Als »fast jeder Größe entbehrend« bezeichnet er Heine – Heine, der der Menschheit einen so beseligenden Schatz hinterlassen hat, einen schier unerschöpflichen Brunnen, in den hineinzutauchen immer wieder Mut, Trost, Befreiung und Erhebung gewährt – nicht etwa durch seinen Witz und Sarkasmus, sondern durch seine nie wieder erreichte, tiefinnige, tief vergeistigte Lyrik. Als ebenso »überschätzt« betrachtet wird auch Spinoza. Diese Wertung – besser Entwertung – zu beurteilen, habe ich zu wenig Wissen. Doch auch da scheint mir ein terroristisches Aufpflanzen von dem, was gerade

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Zitationshilfe: Meisel-Heß, Grete: Weiberhaß und Weiberverachtung. Eine Erwiderung auf die in Dr. Otto Weiningers Buche »Geschlecht und Charakter« geäußerten Anschauungen über »Die Frau und ihre Frage«. Wien, 1904, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meiselhess_weiberhass_1904/61>, abgerufen am 22.11.2024.