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Meisel-Heß, Grete: Weiberhaß und Weiberverachtung. Eine Erwiderung auf die in Dr. Otto Weiningers Buche »Geschlecht und Charakter« geäußerten Anschauungen über »Die Frau und ihre Frage«. Wien, 1904.

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gar keinem anderen Grunde als eben weil es tot und vergangen
ist, scheint mir ein gewaltsames Einengen aller
Kritik und daher auch der Möglichkeit einer Weiterentwicklung
und führt zweifelsohne zu blinder Glorifizierung des Vergangenen
und prinzipieller Verdammung alles Werdenden
und Künftigen, wie sich dies auch tatsächlich in Weiningers
Buch ganz auffällig zeigt: seit 150 Jahren, - so behauptet
er, - sei Deutschland ohne großen Künstler und ohne
großen Denker. Eine sehr kühne Behauptung! Und wie
verträgt sie sich mit seiner Stellung zu Wagner, den er den
größten Genius aller Zeiten nennt?!

Wenn er diese kühne Behauptung zu unterstützen
meint, indem er ausführt, man müsse immer wieder nach
den Werken der Klassiker greifen, man müsse zum Beispiel
Klopstock immer wieder aufschlagen, um ungeduldige Erwartung
bei der Lektüre zu empfinden (?!), so dürfte er das
Beispiel nicht allzu überzeugend gewählt haben! Seit
150 Jahren kein Dichter in Deutschland, der so bedeutend
fesselnd und anregend wäre wie - Klopstock?!

Pietät für das Vergangene bedingt aber, nach Weininger,
vor allem Pietät gegen sich selbst, gegen die eigene
Vergangenheit. Ja, warum soll sie denn aber durchaus mit
Pietät verehrt werden, diese wie immer geartete Vergangenheit?!
Und ist es wirklich ein "Merkmal des hervorragenden
Menschen", daß er mit "weihevoller Sorgfalt" den scheinbar
geringfügigsten Dingen aus seinem Leben einen Wert beilegt?!
So sehr instruktiv es ist, in Nebensächlichem,
"scheinbar Geringfügigem" treibende Momente der Entwicklung
zu erkennen, vielleicht kleine Anstöße größerer Konsequenzen,
- so sehr übertrieben muß es erscheinen, einen
"weihevollen" Selbstkult mit solchen Erinnerungen zu treiben,
denn dann wäre ja die vorerwähnte allzu getreue Erinnerung
des "echten" Weibes an Ball- und Liebesabenteuer und
die weihevolle Sorgfalt, mit der diese Erinnerung angeblich

gar keinem anderen Grunde als eben weil es tot und vergangen
ist, scheint mir ein gewaltsames Einengen aller
Kritik und daher auch der Möglichkeit einer Weiterentwicklung
und führt zweifelsohne zu blinder Glorifizierung des Vergangenen
und prinzipieller Verdammung alles Werdenden
und Künftigen, wie sich dies auch tatsächlich in Weiningers
Buch ganz auffällig zeigt: seit 150 Jahren, – so behauptet
er, – sei Deutschland ohne großen Künstler und ohne
großen Denker. Eine sehr kühne Behauptung! Und wie
verträgt sie sich mit seiner Stellung zu Wagner, den er den
größten Genius aller Zeiten nennt?!

Wenn er diese kühne Behauptung zu unterstützen
meint, indem er ausführt, man müsse immer wieder nach
den Werken der Klassiker greifen, man müsse zum Beispiel
Klopstock immer wieder aufschlagen, um ungeduldige Erwartung
bei der Lektüre zu empfinden (?!), so dürfte er das
Beispiel nicht allzu überzeugend gewählt haben! Seit
150 Jahren kein Dichter in Deutschland, der so bedeutend
fesselnd und anregend wäre wie – Klopstock?!

Pietät für das Vergangene bedingt aber, nach Weininger,
vor allem Pietät gegen sich selbst, gegen die eigene
Vergangenheit. Ja, warum soll sie denn aber durchaus mit
Pietät verehrt werden, diese wie immer geartete Vergangenheit?!
Und ist es wirklich ein »Merkmal des hervorragenden
Menschen«, daß er mit »weihevoller Sorgfalt« den scheinbar
geringfügigsten Dingen aus seinem Leben einen Wert beilegt?!
So sehr instruktiv es ist, in Nebensächlichem,
»scheinbar Geringfügigem« treibende Momente der Entwicklung
zu erkennen, vielleicht kleine Anstöße größerer Konsequenzen,
– so sehr übertrieben muß es erscheinen, einen
»weihevollen« Selbstkult mit solchen Erinnerungen zu treiben,
denn dann wäre ja die vorerwähnte allzu getreue Erinnerung
des »echten« Weibes an Ball- und Liebesabenteuer und
die weihevolle Sorgfalt, mit der diese Erinnerung angeblich

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[37/0043] gar keinem anderen Grunde als eben weil es tot und vergangen ist, scheint mir ein gewaltsames Einengen aller Kritik und daher auch der Möglichkeit einer Weiterentwicklung und führt zweifelsohne zu blinder Glorifizierung des Vergangenen und prinzipieller Verdammung alles Werdenden und Künftigen, wie sich dies auch tatsächlich in Weiningers Buch ganz auffällig zeigt: seit 150 Jahren, – so behauptet er, – sei Deutschland ohne großen Künstler und ohne großen Denker. Eine sehr kühne Behauptung! Und wie verträgt sie sich mit seiner Stellung zu Wagner, den er den größten Genius aller Zeiten nennt?! Wenn er diese kühne Behauptung zu unterstützen meint, indem er ausführt, man müsse immer wieder nach den Werken der Klassiker greifen, man müsse zum Beispiel Klopstock immer wieder aufschlagen, um ungeduldige Erwartung bei der Lektüre zu empfinden (?!), so dürfte er das Beispiel nicht allzu überzeugend gewählt haben! Seit 150 Jahren kein Dichter in Deutschland, der so bedeutend fesselnd und anregend wäre wie – Klopstock?! Pietät für das Vergangene bedingt aber, nach Weininger, vor allem Pietät gegen sich selbst, gegen die eigene Vergangenheit. Ja, warum soll sie denn aber durchaus mit Pietät verehrt werden, diese wie immer geartete Vergangenheit?! Und ist es wirklich ein »Merkmal des hervorragenden Menschen«, daß er mit »weihevoller Sorgfalt« den scheinbar geringfügigsten Dingen aus seinem Leben einen Wert beilegt?! So sehr instruktiv es ist, in Nebensächlichem, »scheinbar Geringfügigem« treibende Momente der Entwicklung zu erkennen, vielleicht kleine Anstöße größerer Konsequenzen, – so sehr übertrieben muß es erscheinen, einen »weihevollen« Selbstkult mit solchen Erinnerungen zu treiben, denn dann wäre ja die vorerwähnte allzu getreue Erinnerung des »echten« Weibes an Ball- und Liebesabenteuer und die weihevolle Sorgfalt, mit der diese Erinnerung angeblich

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Zitationshilfe: Meisel-Heß, Grete: Weiberhaß und Weiberverachtung. Eine Erwiderung auf die in Dr. Otto Weiningers Buche »Geschlecht und Charakter« geäußerten Anschauungen über »Die Frau und ihre Frage«. Wien, 1904, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meiselhess_weiberhass_1904/43>, abgerufen am 24.11.2024.