Meisel-Heß, Grete: Weiberhaß und Weiberverachtung. Eine Erwiderung auf die in Dr. Otto Weiningers Buche »Geschlecht und Charakter« geäußerten Anschauungen über »Die Frau und ihre Frage«. Wien, 1904.
Zahllose andere schweben mir vor - jene großen
Zahllose andere schweben mir vor – jene großen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0022" n="16"/><lb/> Diese tiefsinnig vorgebrachte Beobachtung scheint aus<lb/> »Meggendorfers Illustrierten« geschöpft; jede Bewegung bringt<lb/> ja gewiß neue Karikaturen mit sich, die in weit übers Ziel<lb/> hinausschießenden Äußerlichkeiten ihre Gesinnung dokumentieren<lb/> wollen. So mag es auch kleine Frauenzimmer geben,<lb/> die einen männlichen Habitus sich anzuzüchten bemüht sind,<lb/> – um beachtet zu werden. Daß die Bedeutenderen sich unter<lb/> ihnen befinden, ist rundweg zu verneinen – ebenso die<lb/> Behauptung, daß körperlich-maskuline Anlagen einer bedeutenden<lb/> Frau eigen sein müssen und sie als solche<lb/> »erkennbar« machen. Vielmehr kenne ich hochbedeutende<lb/> Frauen, die gleichzeitig einen reizenden, berückenden weiblichen<lb/> Typus repräsentieren. Die deutsche Dichterin, die im<lb/> vorigen Jahre hier zu Gaste war und die das stärkste<lb/> deutsche Romantalent der Gegenwart repräsentiert, ein<lb/> Talent, das an Kraft, Wucht und erschütternder Tiefe seinesgleichen<lb/> derzeit in Deutschland nicht hat, ist ein entzückendes<lb/> »molliges Weiberl« (ich wähle absichtlich, um des<lb/> Kontrastes willen, diesen Ausdruck), eine sieghafte, blonde,<lb/> rheinische Schönheit, die nichts »Männliches« in ihrem<lb/> äußeren Habitus aufweist, man müßte denn (wie Weininger<lb/> dies tatsächlich auch tut) eine gut entwickelte Stirn,<lb/> ein prächtiges Schädelgehäuse und vielleicht zwei in Klugheit<lb/> strahlende schöne Augen a priori als »männlich« bezeichnen.<lb/></p> <p>Zahllose andere schweben mir vor – jene großen<lb/> Frauen der Bühne – bei denen gerade der Zauber ihres<lb/> Geschlechtes kulminiert, große, »einsame Seelen« mit echt<lb/> weiblichen Schicksalen; an eine Bildhauerin muß ich denken,<lb/> an ihre Werke, an diese gewaltigen Steine, denen eine imponierende<lb/> Geistigkeit und eine imponierende Kraft <hi rendition="#g">Seele</hi><lb/> gegeben, so daß sie zu leben, zu rufen, zu ringen und zu<lb/> leiden scheinen wie das Leben selbst; und die Person dieser<lb/> (noch nicht allgemein bekannten) Künstlerin: ein zartes<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [16/0022]
Diese tiefsinnig vorgebrachte Beobachtung scheint aus
»Meggendorfers Illustrierten« geschöpft; jede Bewegung bringt
ja gewiß neue Karikaturen mit sich, die in weit übers Ziel
hinausschießenden Äußerlichkeiten ihre Gesinnung dokumentieren
wollen. So mag es auch kleine Frauenzimmer geben,
die einen männlichen Habitus sich anzuzüchten bemüht sind,
– um beachtet zu werden. Daß die Bedeutenderen sich unter
ihnen befinden, ist rundweg zu verneinen – ebenso die
Behauptung, daß körperlich-maskuline Anlagen einer bedeutenden
Frau eigen sein müssen und sie als solche
»erkennbar« machen. Vielmehr kenne ich hochbedeutende
Frauen, die gleichzeitig einen reizenden, berückenden weiblichen
Typus repräsentieren. Die deutsche Dichterin, die im
vorigen Jahre hier zu Gaste war und die das stärkste
deutsche Romantalent der Gegenwart repräsentiert, ein
Talent, das an Kraft, Wucht und erschütternder Tiefe seinesgleichen
derzeit in Deutschland nicht hat, ist ein entzückendes
»molliges Weiberl« (ich wähle absichtlich, um des
Kontrastes willen, diesen Ausdruck), eine sieghafte, blonde,
rheinische Schönheit, die nichts »Männliches« in ihrem
äußeren Habitus aufweist, man müßte denn (wie Weininger
dies tatsächlich auch tut) eine gut entwickelte Stirn,
ein prächtiges Schädelgehäuse und vielleicht zwei in Klugheit
strahlende schöne Augen a priori als »männlich« bezeichnen.
Zahllose andere schweben mir vor – jene großen
Frauen der Bühne – bei denen gerade der Zauber ihres
Geschlechtes kulminiert, große, »einsame Seelen« mit echt
weiblichen Schicksalen; an eine Bildhauerin muß ich denken,
an ihre Werke, an diese gewaltigen Steine, denen eine imponierende
Geistigkeit und eine imponierende Kraft Seele
gegeben, so daß sie zu leben, zu rufen, zu ringen und zu
leiden scheinen wie das Leben selbst; und die Person dieser
(noch nicht allgemein bekannten) Künstlerin: ein zartes
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