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Meinhold, Wilhelm: Maria Schweidler die Bernsteinhexe. Berlin, 1843.

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Stuben gingen. Solches setzte eine Furcht, und nach¬
dem sich das Volk auf die Straße verlaufen, zog der
Büttel ein Seil aus seiner Taschen, womit er meim
Lämmelein also ihre Hände auf den Rücken zusammen¬
bande, daß sie laut zu schreien begunnte; aber dieweil
sie sahe, wie es mich wieder an mein Herze stieß, sich
alsofort begriff und sprach: "ach Vater bedenket, daß
es dem lieben Heiland auch nicht besser ergangen!" Die¬
weil aber mein lieber Gevatter, so hinter ihr stund, sahe,
daß ihre Händelein und absonderlich die Nägel braun
und blau worden waren, thät er eine Fürsprache bei
Eim ehrsamen Gericht, worauf aber der abscheuliche Amts¬
haubtmann zur Antwort gab: ei lasset sie nur, sie muß
fühlen was es bedeutet von dem lebendigen Gotte ab¬
zufallen. Aber Dn. Consul war glimpflicher, inma¬
ßen er dem Büttel Befehl gab, nachdem er die Stricke
befühlet, sie menschlich zu binden und ein wenig nach¬
zulassen, was selbiger nunmehro auch thun mußte. Hie¬
mit war mein lieber Gevatter aber noch nicht zufrieden,
sondern bat, daß man sie müge ohne Bande auf den
Wagen setzen, damit sie ihr Gesangbuch gebrauchen könne.
Denn er hätte die Schule bestellet, um unterweges ein
geistlich Lied zu ihrer Tröstunge zu singen, und wollte
sich verbürgen, da er selbsten mitzufahren gesonnen, daß
sie nicht von dem Wagen kommen sölle. Im Uebrigen
pflegeten ja auch Kerls mit Forken *) umb den Wa¬

*) Heugabeln.

Stuben gingen. Solches ſetzte eine Furcht, und nach¬
dem ſich das Volk auf die Straße verlaufen, zog der
Büttel ein Seil aus ſeiner Taſchen, womit er meim
Lämmelein alſo ihre Hände auf den Rücken zuſammen¬
bande, daß ſie laut zu ſchreien begunnte; aber dieweil
ſie ſahe, wie es mich wieder an mein Herze ſtieß, ſich
alſofort begriff und ſprach: „ach Vater bedenket, daß
es dem lieben Heiland auch nicht beſſer ergangen!“ Die¬
weil aber mein lieber Gevatter, ſo hinter ihr ſtund, ſahe,
daß ihre Händelein und abſonderlich die Nägel braun
und blau worden waren, thät er eine Fürſprache bei
Eim ehrſamen Gericht, worauf aber der abſcheuliche Amts¬
haubtmann zur Antwort gab: ei laſſet ſie nur, ſie muß
fühlen was es bedeutet von dem lebendigen Gotte ab¬
zufallen. Aber Dn. Consul war glimpflicher, inma¬
ßen er dem Büttel Befehl gab, nachdem er die Stricke
befühlet, ſie menſchlich zu binden und ein wenig nach¬
zulaſſen, was ſelbiger nunmehro auch thun mußte. Hie¬
mit war mein lieber Gevatter aber noch nicht zufrieden,
ſondern bat, daß man ſie müge ohne Bande auf den
Wagen ſetzen, damit ſie ihr Geſangbuch gebrauchen könne.
Denn er hätte die Schule beſtellet, um unterweges ein
geiſtlich Lied zu ihrer Tröſtunge zu ſingen, und wollte
ſich verbürgen, da er ſelbſten mitzufahren geſonnen, daß
ſie nicht von dem Wagen kommen ſölle. Im Uebrigen
pflegeten ja auch Kerls mit Forken *) umb den Wa¬

*) Heugabeln.
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[245/0261] Stuben gingen. Solches ſetzte eine Furcht, und nach¬ dem ſich das Volk auf die Straße verlaufen, zog der Büttel ein Seil aus ſeiner Taſchen, womit er meim Lämmelein alſo ihre Hände auf den Rücken zuſammen¬ bande, daß ſie laut zu ſchreien begunnte; aber dieweil ſie ſahe, wie es mich wieder an mein Herze ſtieß, ſich alſofort begriff und ſprach: „ach Vater bedenket, daß es dem lieben Heiland auch nicht beſſer ergangen!“ Die¬ weil aber mein lieber Gevatter, ſo hinter ihr ſtund, ſahe, daß ihre Händelein und abſonderlich die Nägel braun und blau worden waren, thät er eine Fürſprache bei Eim ehrſamen Gericht, worauf aber der abſcheuliche Amts¬ haubtmann zur Antwort gab: ei laſſet ſie nur, ſie muß fühlen was es bedeutet von dem lebendigen Gotte ab¬ zufallen. Aber Dn. Consul war glimpflicher, inma¬ ßen er dem Büttel Befehl gab, nachdem er die Stricke befühlet, ſie menſchlich zu binden und ein wenig nach¬ zulaſſen, was ſelbiger nunmehro auch thun mußte. Hie¬ mit war mein lieber Gevatter aber noch nicht zufrieden, ſondern bat, daß man ſie müge ohne Bande auf den Wagen ſetzen, damit ſie ihr Geſangbuch gebrauchen könne. Denn er hätte die Schule beſtellet, um unterweges ein geiſtlich Lied zu ihrer Tröſtunge zu ſingen, und wollte ſich verbürgen, da er ſelbſten mitzufahren geſonnen, daß ſie nicht von dem Wagen kommen ſölle. Im Uebrigen pflegeten ja auch Kerls mit Forken *) umb den Wa¬ *) Heugabeln.

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Zitationshilfe: Meinhold, Wilhelm: Maria Schweidler die Bernsteinhexe. Berlin, 1843, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meinhold_bernsteinhexe_1843/261>, abgerufen am 28.11.2024.