Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meinhold, Wilhelm: Maria Schweidler die Bernsteinhexe. Berlin, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

den, hub ich an, sie zu examiniren, warumb sie fort wölle,
da sie doch so lange bei mir verharret, auch in der gro¬
ßen Hungersnoth uns nicht verlassen wöllen, besondern
getreulich ausgehalten, ja mich selbsten mit ihrem Glau¬
ben gedemüthiget und ritterlich auszuhalten vermahnet,
was ich ihr nie vergessen würd, so lange ich lebte. Hier¬
auf finge sie an nur noch heftiger zu weinen und zu
schluchzen und brachte endlich herfür: daß sie annoch eine
alte Mutter bei 80 Jahren in der Liepen wohnende hätte,
und wölle sie hin, selbige bis an ihr Ende zu pflegen.
Worauf mein Töchterlein aufsprunge und weinend zur
Antwort gab: "ach alte Ilse darumb willtu wegk, denn
dein Mütterlein ist ja bei deinen Bruder; sage mir doch,
warumb du mich verlassen wilt, und was ich gegen dich
verwirket, damit ich es wieder gut machen kann?" Aber
sie verbarg ihr Gesicht in der Schürzen und schluchzete
nur ohne ein Wörtlein herfürzubringen, wannenhero mein
Töchterlein ihr die Schürzen wegkziehen, und ihr die Wan¬
gen streicheln wollte, umb sie zum Reden zu bringen.
Aber als sie solliches merkete, schlug sie mein arm Kind
auf die Finger und rief: pfui! spiee auch vor ihr aus
und ging alsobald aus der Thüren. Solliches hatte sie
nie nit gethan, da mein Töchterlein ein klein Mädken
war, und entsatzten wir beide uns also, daß wir kein
Wörtlein sprechen kunnten.

Währete aber nit lange; so erhob mein arm Kind
ein groß Geschrei, und worf sich über die Bank und la¬
mentirete immerdar rufend: "was ist geschehn, was ist

den, hub ich an, ſie zu examiniren, warumb ſie fort wölle,
da ſie doch ſo lange bei mir verharret, auch in der gro¬
ßen Hungersnoth uns nicht verlaſſen wöllen, beſondern
getreulich ausgehalten, ja mich ſelbſten mit ihrem Glau¬
ben gedemüthiget und ritterlich auszuhalten vermahnet,
was ich ihr nie vergeſſen würd, ſo lange ich lebte. Hier¬
auf finge ſie an nur noch heftiger zu weinen und zu
ſchluchzen und brachte endlich herfür: daß ſie annoch eine
alte Mutter bei 80 Jahren in der Liepen wohnende hätte,
und wölle ſie hin, ſelbige bis an ihr Ende zu pflegen.
Worauf mein Töchterlein aufſprunge und weinend zur
Antwort gab: „ach alte Ilſe darumb willtu wegk, denn
dein Mütterlein iſt ja bei deinen Bruder; ſage mir doch,
warumb du mich verlaſſen wilt, und was ich gegen dich
verwirket, damit ich es wieder gut machen kann?“ Aber
ſie verbarg ihr Geſicht in der Schürzen und ſchluchzete
nur ohne ein Wörtlein herfürzubringen, wannenhero mein
Töchterlein ihr die Schürzen wegkziehen, und ihr die Wan¬
gen ſtreicheln wollte, umb ſie zum Reden zu bringen.
Aber als ſie ſolliches merkete, ſchlug ſie mein arm Kind
auf die Finger und rief: pfui! ſpiee auch vor ihr aus
und ging alſobald aus der Thüren. Solliches hatte ſie
nie nit gethan, da mein Töchterlein ein klein Mädken
war, und entſatzten wir beide uns alſo, daß wir kein
Wörtlein ſprechen kunnten.

Währete aber nit lange; ſo erhob mein arm Kind
ein groß Geſchrei, und worf ſich über die Bank und la¬
mentirete immerdar rufend: „was iſt geſchehn, was iſt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0139" n="123"/>
den, hub ich an, &#x017F;ie zu examiniren, warumb &#x017F;ie fort wölle,<lb/>
da &#x017F;ie doch &#x017F;o lange bei mir verharret, auch in der gro¬<lb/>
ßen Hungersnoth uns nicht verla&#x017F;&#x017F;en wöllen, be&#x017F;ondern<lb/>
getreulich ausgehalten, ja mich &#x017F;elb&#x017F;ten mit ihrem Glau¬<lb/>
ben gedemüthiget und ritterlich auszuhalten vermahnet,<lb/>
was ich ihr nie verge&#x017F;&#x017F;en würd, &#x017F;o lange ich lebte. Hier¬<lb/>
auf finge &#x017F;ie an nur noch heftiger zu weinen und zu<lb/>
&#x017F;chluchzen und brachte endlich herfür: daß &#x017F;ie annoch eine<lb/>
alte Mutter bei 80 Jahren in der Liepen wohnende hätte,<lb/>
und wölle &#x017F;ie hin, &#x017F;elbige bis an ihr Ende zu pflegen.<lb/>
Worauf mein Töchterlein auf&#x017F;prunge und weinend zur<lb/>
Antwort gab: &#x201E;ach alte Il&#x017F;e darumb willtu wegk, denn<lb/>
dein Mütterlein i&#x017F;t ja bei deinen Bruder; &#x017F;age mir doch,<lb/>
warumb du mich verla&#x017F;&#x017F;en wilt, und was ich gegen dich<lb/>
verwirket, damit ich es wieder gut machen kann?&#x201C; Aber<lb/>
&#x017F;ie verbarg ihr Ge&#x017F;icht in der Schürzen und &#x017F;chluchzete<lb/>
nur ohne ein Wörtlein herfürzubringen, wannenhero mein<lb/>
Töchterlein ihr die Schürzen wegkziehen, und ihr die Wan¬<lb/>
gen &#x017F;treicheln wollte, umb &#x017F;ie zum Reden zu bringen.<lb/>
Aber als &#x017F;ie &#x017F;olliches merkete, &#x017F;chlug &#x017F;ie mein arm Kind<lb/>
auf die Finger und rief: pfui! &#x017F;piee auch vor ihr aus<lb/>
und ging al&#x017F;obald aus der Thüren. Solliches hatte &#x017F;ie<lb/>
nie nit gethan, da mein Töchterlein ein klein Mädken<lb/>
war, und ent&#x017F;atzten wir beide uns al&#x017F;o, daß wir kein<lb/>
Wörtlein &#x017F;prechen kunnten.</p><lb/>
        <p>Währete aber nit lange; &#x017F;o erhob mein arm Kind<lb/>
ein groß Ge&#x017F;chrei, und worf &#x017F;ich über die Bank und la¬<lb/>
mentirete immerdar rufend: &#x201E;was i&#x017F;t ge&#x017F;chehn, was i&#x017F;t<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[123/0139] den, hub ich an, ſie zu examiniren, warumb ſie fort wölle, da ſie doch ſo lange bei mir verharret, auch in der gro¬ ßen Hungersnoth uns nicht verlaſſen wöllen, beſondern getreulich ausgehalten, ja mich ſelbſten mit ihrem Glau¬ ben gedemüthiget und ritterlich auszuhalten vermahnet, was ich ihr nie vergeſſen würd, ſo lange ich lebte. Hier¬ auf finge ſie an nur noch heftiger zu weinen und zu ſchluchzen und brachte endlich herfür: daß ſie annoch eine alte Mutter bei 80 Jahren in der Liepen wohnende hätte, und wölle ſie hin, ſelbige bis an ihr Ende zu pflegen. Worauf mein Töchterlein aufſprunge und weinend zur Antwort gab: „ach alte Ilſe darumb willtu wegk, denn dein Mütterlein iſt ja bei deinen Bruder; ſage mir doch, warumb du mich verlaſſen wilt, und was ich gegen dich verwirket, damit ich es wieder gut machen kann?“ Aber ſie verbarg ihr Geſicht in der Schürzen und ſchluchzete nur ohne ein Wörtlein herfürzubringen, wannenhero mein Töchterlein ihr die Schürzen wegkziehen, und ihr die Wan¬ gen ſtreicheln wollte, umb ſie zum Reden zu bringen. Aber als ſie ſolliches merkete, ſchlug ſie mein arm Kind auf die Finger und rief: pfui! ſpiee auch vor ihr aus und ging alſobald aus der Thüren. Solliches hatte ſie nie nit gethan, da mein Töchterlein ein klein Mädken war, und entſatzten wir beide uns alſo, daß wir kein Wörtlein ſprechen kunnten. Währete aber nit lange; ſo erhob mein arm Kind ein groß Geſchrei, und worf ſich über die Bank und la¬ mentirete immerdar rufend: „was iſt geſchehn, was iſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meinhold_bernsteinhexe_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meinhold_bernsteinhexe_1843/139
Zitationshilfe: Meinhold, Wilhelm: Maria Schweidler die Bernsteinhexe. Berlin, 1843, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meinhold_bernsteinhexe_1843/139>, abgerufen am 23.11.2024.