meinen Fürsteher Claus Bulken, welcher an der Linden stand, und für sich ein Liedlein pfiff. Trat also hinzu und fragete, was den Leuten angekommen, worauf er zur Antwort gab: das wisse er nicht. Und als ich aber¬ mals fragete, warumb er selbsten denn auch gelaufen wär, sagte er: was er hätte allein in der Kirchen thun sollen, dieweil der Bedelt *) doch nit hätte gehen kön¬ nen. Beschwure ihn also mir die Wahrheit zu sagen: welch gräulicher Verdacht gegen mich in die Gemein ge¬ kommen? aber er antwortete: ich würd es bald schon selbsten erfahren, und sprang über die Mauer, und ging in der alten Lisen ihr Haus, so dicht am Kirchhofe steht.
Mein Töchterlein hatte eine Kälbersuppen zum Mit¬ tag, vor die ich sonst Allens stehen lasse, aber ich kunnte keinen Löffel voll in den Hals bringen sondern saß und hatte mein Haupt gestützet und sanne, ob ich es ihr sa¬ gen wöllte oder nicht. Hierzwischen kam die alte Magd herein, ganz reisig und mit einem Tuch voll Zeug in der Hand und bat weinende, daß ich ihr den Abschied geben wölle. Mein arm Kind wurde blaß, wie ein Leich und fragete verwundert, was ihr angekommen? Aber sie antwortete blos: "nicks! **)" und wischete sich mit der Schürzen die Augen. Als ich die Sprache wieder gewunnen, so mir schier vergangen war, dieweil ich sahe, daß dies alte, treue Mensch mir auch abtrüunnig wor¬
*) Klingbeutel.
**) Nichts.
meinen Fürſteher Claus Bulken, welcher an der Linden ſtand, und für ſich ein Liedlein pfiff. Trat alſo hinzu und fragete, was den Leuten angekommen, worauf er zur Antwort gab: das wiſſe er nicht. Und als ich aber¬ mals fragete, warumb er ſelbſten denn auch gelaufen wär, ſagte er: was er hätte allein in der Kirchen thun ſollen, dieweil der Bedelt *) doch nit hätte gehen kön¬ nen. Beſchwure ihn alſo mir die Wahrheit zu ſagen: welch gräulicher Verdacht gegen mich in die Gemein ge¬ kommen? aber er antwortete: ich würd es bald ſchon ſelbſten erfahren, und ſprang über die Mauer, und ging in der alten Liſen ihr Haus, ſo dicht am Kirchhofe ſteht.
Mein Töchterlein hatte eine Kälberſuppen zum Mit¬ tag, vor die ich ſonſt Allens ſtehen laſſe, aber ich kunnte keinen Löffel voll in den Hals bringen ſondern ſaß und hatte mein Haupt geſtützet und ſanne, ob ich es ihr ſa¬ gen wöllte oder nicht. Hierzwiſchen kam die alte Magd herein, ganz reiſig und mit einem Tuch voll Zeug in der Hand und bat weinende, daß ich ihr den Abſchied geben wölle. Mein arm Kind wurde blaß, wie ein Leich und fragete verwundert, was ihr angekommen? Aber ſie antwortete blos: „nicks! **)“ und wiſchete ſich mit der Schürzen die Augen. Als ich die Sprache wieder gewunnen, ſo mir ſchier vergangen war, dieweil ich ſahe, daß dies alte, treue Menſch mir auch abtrüunnig wor¬
*) Klingbeutel.
**) Nichts.
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meinen Fürſteher Claus Bulken, welcher an der Linden
ſtand, und für ſich ein Liedlein pfiff. Trat alſo hinzu
und fragete, was den Leuten angekommen, worauf er zur
Antwort gab: das wiſſe er nicht. Und als ich aber¬
mals fragete, warumb er ſelbſten denn auch gelaufen
wär, ſagte er: was er hätte allein in der Kirchen thun
ſollen, dieweil der Bedelt *) doch nit hätte gehen kön¬
nen. Beſchwure ihn alſo mir die Wahrheit zu ſagen:
welch gräulicher Verdacht gegen mich in die Gemein ge¬
kommen? aber er antwortete: ich würd es bald ſchon
ſelbſten erfahren, und ſprang über die Mauer, und ging
in der alten Liſen ihr Haus, ſo dicht am Kirchhofe ſteht.
Mein Töchterlein hatte eine Kälberſuppen zum Mit¬
tag, vor die ich ſonſt Allens ſtehen laſſe, aber ich kunnte
keinen Löffel voll in den Hals bringen ſondern ſaß und
hatte mein Haupt geſtützet und ſanne, ob ich es ihr ſa¬
gen wöllte oder nicht. Hierzwiſchen kam die alte Magd
herein, ganz reiſig und mit einem Tuch voll Zeug in
der Hand und bat weinende, daß ich ihr den Abſchied
geben wölle. Mein arm Kind wurde blaß, wie ein Leich
und fragete verwundert, was ihr angekommen? Aber
ſie antwortete blos: „nicks! **)“ und wiſchete ſich mit
der Schürzen die Augen. Als ich die Sprache wieder
gewunnen, ſo mir ſchier vergangen war, dieweil ich ſahe,
daß dies alte, treue Menſch mir auch abtrüunnig wor¬
*) Klingbeutel.
**) Nichts.
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Meinhold, Wilhelm: Maria Schweidler die Bernsteinhexe. Berlin, 1843, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meinhold_bernsteinhexe_1843/138>, abgerufen am 23.11.2024.
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